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SAN ANDRES, WIR KOMMEN

■ Ein Filmteam sollte die ursprüngliche Idylle einer insel auffangen. Zweifelhafte Praktiken der Verwertung

Ein Filmteam sollte die ursprüngliche Idylle einer Insel auffangen. Zweifelhafte Praktiken der Vermarktung.

VONNILSHOLGERSCHOMANN

Reisejournalisten sind eine ganz besondere Art ihrer Gattung: Wir waren schon da! rufen sie ähnlich dem Igel in dem berühmten Wettlauf. Der immer zu spät kommende in dieser Geschichte ist der Pauschaltourist. Einer ganz miesen Masche auf den Leim gekrochen fühlten sich Hunderte und ein Filmteam. Es sollte „eines der letzten touristischen Paradiese“ vorteilhaft in Szene setzen für den Massentourismus.

„Strände, die an die Südsee erinnern, keine Bettenburgen, sondern moderat der Landschaft angepaßte Hotels, weder Nepp noch Kriminalität, extrem niedrige Nebenkosten und dazu zollfreies Einkaufsparadies“, schrieb unserer Filmproduktion der Reisejournalist Andreas Feuer (Name von der Redaktion geändert) und lud uns zu einer Reise in die Karibik ein. Vor der Küste von Nicaragua liegen die beiden kolumbianischen Inseln San Andres und Providencia. In Frankfurt bestiegen wir ein Flugzeug der Staatsairline. Schon in Madrid war die Reise vorläufig zu Ende: 30 Stunden Aufenthalt wegen eines Triebwerkschadens. Nach dem kleinen Intermezzo direkt zum Ziel der Träume: „San Andres heißt die Insel und schon jetzt deutet alles darauf hin, daß hier eines der letzten touristischen Paradiese aufgetan wurde... viel ursprünglicher... können deutsche Touristen ab November die Karibik erleben.“ (Originalton Reisejourn. Feuer)

Doch zunächst geht der Flieger nach Bogota — ein netter Abstecher, der viele Stunden der wertvollen Urlaubszeit kostet. Von einem Direktflug nach Cartagena war die Rede — Schwamm drüber. Dort umsteigen und wieder Wartezeit und Verspätung. Der erste große Schock dann auf der Insel: etwa dreimal so viele Urlauber fuhren mit der Taxe in die beiden einzigen Hotels wie versprochen direkt am Strand. Dreifach überbucht von Deutschland aus. Ein bitteres Erwachen am ersten Urlaubstag.

Nun wurden die Geprellten auf andere, unkomfortable Hotels über die ganze Insel verteilt. Kein einziges davon mit Strand, die meisten sogar in San Andres City, der hektischen Metropole des Eilands. Morgens um fünf von laut hupenden, stinkenden Blechkarawanen geweckt zu werden — für drei Wochen das Los etlicher Urlauber. Denn eigentlich ist San Andres so eine Art Helgoland für Kolumbianer: zollfreier Einkauf von Schnaps und HiFi. Unzählige Händler leben davon. Fast jede Mittelsstandsfamilie fährt einmal pro Jahr hin, dann wird ein Wochenende gefeiert und eingekauft. Entsprechend simpel, für hiesige Ansprüche sogar unkomfortabel sind die Unterkünfte: entweder ganz kleine Buden, wo gerade ein Bett reinpaßt, ein Wohnklo oder ganz große Zimmer für die familien- und finanzbewußten Einheimischen.

Christoph Marx, der Leverkusener Student hat auch an ein Reise- Schnäppchen geglaubt: 1.900,- für drei Wochen Karibik alles inclusive, das durfte doch nicht wahr sein. War es auch nicht. In einem 4-Bett-„Saal“ wurden er und seine zwei Mitreisenden gesteckt. „Echtes Jugendherbergsfeeling hier und so zentral gelegen“, freut sich die Gruppe. Allerdings hatte sie ein Doppel- und ein Einzelzimmer gebucht. Mit Blick auf Strand und nicht auf Hauptstraße. Damit wären wir beim Grundproblem: Die ganze Infrastruktur der kleinen Insel ist gänzlich ungeeeignet für pauschalen Massentourismus. Es fehlt an geeigneten Quartieren und Stränden. Dieser Grundwert der Karibik ist auf der Insel nur zweimal vorhanden, ansonsten heißt es, sich übersetzen lassen auf kleinere Badeinseln. Und die sind vermüllt.

Für die Arbeit des Filmteams eher nebensächlich: die Kamera liegt ja in Schulterhöhe und der Ausschnitt läßt sich so einrichten, wie der Regisseur, besagter Reisejournalist, es will. Noch während wir den Reisebüro-Film Rum ist in der kleinsten Hütte drehen, haben schon einige große Zeitungen in Deutschland Feuers Jubelberichte aus dem fernen Paradies abgedruckt. Die Buchungswelle läuft auf Hochtouren, während der Manager des Veranstalters aus Frankfurt eingeflogen werden muß, um die aufgebrachten Urlauber in hastig anberaumten Hotelsprechstunden zu beruhigen: Schlechtes Essen, jeden morgen Rührei, gleichgültiges Personal, die übliche Leier frustrierter Pauschaltouristen.

In Erwartung eines kurzen aber fetten Geschäftes hatten die Veranstalter der einheimischen Tourismusbranche dauerhafte Einnahmen versprochen. Zwei Unternehmen kauften große Bettkontingente. Für die kolumbianischen Wochenendausflügler blieben kaum noch Übernachtungsmöglichkeiten. Das wiederum ließ die Einnahmen der zahlreichen HiFi- und Fotoläden zurückgehen, die überwiegend von inländischen und nicht von europäischen Touristen leben. Schließlich kann hier keiner was mit einem Fernseher in NTSC-Norm anfangen.

Die für San Andres zuständige Managerin des kolumbianischen Tourismusverbandes Marie Robinson de Courtney sieht die San-Andres-Euphorie sehr nüchtern: „Bisher hatten wir pro Jahr 400.000 Besucher vom kolumbianischen Festland und überhaupt keine aus Europa. Wir hoffen, daß die Leute, die San Andres vermarkten, endlich die Wahrheit über die Insel sagen: daß wir uns noch entwickeln und bisher nur einheimische Touristen hatten. Wir können nicht mehr bieten, als wir haben: Gastfreundschaft, aber keinen Luxus.“ Nach dem Interview zeigt sie uns ein Fax von der Reiseagentur in Frankfurt. Wenige Tage vor Ankunft einer Flugzeugladung von deutschen Touristen fragt der Manager: Habt ihr noch ein paar Zimmer für uns? Das Chaos hatte also System, mittlerweile hat er allerdings mit einer Prozeßlawine zu kämpfen. Viele Urlauber fordern Schadenersatz für nicht eingehaltene Hotelbuchungen.

Der Werbefilm Rum ist in der kleinsten Hütte ist inzwischen fertig. Weiterhin werden ahnungslose Touristen mit schönen Bildern in ein angebliches Paradies gelockt. „Das schönste an San Andres ist der vielversprechende Katalog“, sagt der Geschädigte Hans H. aus Sinsheim. Vom Film läßt sich gleiches behaupten. Die Hauptgeschädigten dürften allerdings die Inselbewohner sein, wenn die Fluggesellschaft, wie geplant, ihre Flüge spätestens am 21. 4. 91 einstellt. Eine kurze Welle aus Europa ist über die Insel geschwappt. „Journalisten“ haben den Boom ins Rollen gebracht. Gekaufte Lohnschreiber.

Besagter Regisseur (O-Ton: „Nimm mal diese Krüppel — gemeint waren Einheimische — aus dem Bild, ich will blonde und blauäugige Urlauber sehen“) hat übrigens das Filmteam gewechselt, er könne mit denen nicht arbeiten, teilte er dem Auftraggeber mit. Stimmt, wir sind uns zu schade für solche menschenverachtenden Jobs, Kollege Feuer. Leute von deinem Schlage machen sich nichts aus Urlaubern und erst recht nichts aus Einheimischen.

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