: Kirkuk wieder in der Hand Saddams
Gruppe von Journalisten konnte in offizieller Begleitung die zurückeroberte Stadt in Kurdistan besichtigen/ Angeblich mehrere Dutzend Tote auf beiden Seiten/ Es herrscht Angst vor einem Bürgerkrieg ■ Aus Kirkuk Khalil Abied
Der folgende Bericht unseres Korrespondenten im Irak unterlag der Zensur. Die Fahrt nach Kirkuk und der Aufenthalt in der von den regimetreuen Truppen zurückeroberten kurdischen Stadt wurde vom Informationsministerium in Bagdad organisiert. (d. Red.)
Seit vergangenen Donnerstag ist die nordirakische Stadt Kirkuk, 300 Kilometer von Bagdad entfernt, wieder unter Kontrolle der Truppen Saddam Husseins. In der Landespresse wurde die Rückeroberung der von kurdischen Kämpfern besetzten Stadt groß gefeiert. „Mit der Unterstützung Gottes haben wir über die Saboteure einen großen Sieg errungen“, titelte etwa das Blatt 'Irak‘. Wie zum Beweis wurden dann am Sonntag ausländische Journalisten in Begleitung von Mitarbeitern des irakischen Informationsministeriums durch die Stadt geführt.
Die Peschmergas, die kurdischen Kämpfer, hatten die Stadt sieben Tage lang besetzt. Mohammad Ghales, ein in den Ölanlagen beschäftigter Beamter, beschrieb, wie er die Eroberung der Stadt durch die Kurden erlebte: „Um Mitternacht begannen die Rebellen, die Stadt mit Mörsern und Artillerie zu bombardieren. Es war eine heftige Bombardierung, die bis sechs Uhr morgens dauerte. Dann fingen die Rebellen an, in die Stadt vorzudringen. Sie waren mit Maschinengewehren, Granatwerfern und Bazookas bewaffnet. Kurden, die in der Stadt leben, unterstützten sie, während ein Teil der Bevölkerung, insbesondere Araber und Kurden, die mit der Baath zusammengearbeitet hatten, zu fliehen begannen.“ In Kirkuk, einem wichtigen Erdölzentrum des Landes, leben Araber, Kurden und eine kleine Minderheit von Turkmenen Seite an Seite.
Der Gouverneur der Provinz Kirkuk, Haschem Al-Madjid, sagte, es habe keinen Widerstand gegen die Rebellen gegeben, weil die irakische Armee an der Front gewesen sei. Die „Saboteure“ hätten die „Situation“ ausgenutzt, weil sie gewußt hätten, daß sich keine Soldaten in der Stadt aufgehalten hätten. „Gleichzeitig glaubten wir nicht, daß unsere Nachbarn uns einen Dolchstoß in den Rücken geben würden“, meinte Madjid unter Anspielung auf die Türkei und den Iran. „Wir haben später festgestellt, daß die Saboteure ein paar Wochen lang Waffen in die Stadt schmuggeln und viele sich in der Stadt verstecken konnten. Sie kamen als Besucher und spielten eine wichtige Rolle bei der Eroberung.“ Der Provinzgouverneur bestritt Angaben über eine große Zahl von Toten unter der Bevölkerung. Es habe keinen heftigen Kampf um die Rückeroberung der Stadt gegeben. Er sprach von einigen Dutzenden von Toten auf beiden Seiten.
In der Stadt selbst waren am Sonntag Spuren der Kämpfe auszumachen, aber offensichtlich zogen sich die Peschmergas nach dem Gegenangriff der irakischen Truppen ohne heftigen Widerstand zurück. In der Umgebung waren überall Militärpatrouillen zu sehen, am Stadtrand dann die ersten Spuren der Kämpfe: etwa fünfzehn verbrannte Leichen, einige weitere Tote lagen auf dem Boden, an den Straßenrändern ausgebrannte Autos. In der Nähe einige Dutzend Häuser, die von Artilleriefeuer beschädigt waren, in der Stadt weitere getroffene Häuser. Die Hauswände waren voll mit Parolen in kurdischer und arabischer Sprache, eine persische der Hizb'ollah, der Partei Gottes, war auch darunter. Unter den Slogans waren alle kurdischen Parteien bis hin zu den Kommunisten und der islamischen Bewegung Kurdistans vertreten. Einige Saddam-Hussein-Denkmäler und Wandgemälde sowie alle Büros der Baath-Partei, an denen wir vorbeikamen, waren ebenfalls zerstört.
Hamed Djebir, ein 65jähriger Rentner, berichtete, er sei Augenzeuge der Ermordung von sechs Baathisten gewesen. Die Kurden hätten Checkpoints in der Stadt eingerichtet und hätten nach Parteimitgliedern gefragt. Kurden aus der Stadt hätten bereitwillig Auskunft gegeben. „Ich habe gesehen, wie die Rebellen sechs Baathisten getötet haben und hinterher ihre Leichen mißhandelten“, sagte der Mann.
Unserer Gruppe von Journalisten wurde das Saatocieh-Einkaufszentrum und ein Nahrungsmittellager gezeigt, die angeblich von den Rebellen ausgeraubt und niedergebrannt wurden. Ein nahegelegenes Museum wurde ebenfalls im Zuge der Kämpfe verwüstet. Auch staatliche Gebäude und das Archiv der staatlichen Verwaltung wurden teilweise niedergebrannt. Abdul Ahmed, der in der Stadtverwaltung arbeitet, beschreibt den Kampf: „Die Rebellen konnten nicht die ganze Stadt kontrollieren. Am zweiten Tag versuchten sie, unser Gebäude zu attackieren. Wir haben zwei Stunden gekämpft und mußten uns dann an den Stadtrand zurückziehen. In der Nacht kehrten wir zurück, um zu kämpfen.“ Jede Nacht habe es Kämpfe gegeben. Die Straßen seien leer gewesen und nur wenige Geschäfte geöffnet. Viele Einwohner der Stadt, mit denen wir sprechen konnten, äußerten ihre Sorge über die künftigen Beziehungen zwischen Arabern und Kurden.
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