: Wenn der Yuppie mit der S-Bahn fährt
Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr lockt mit einem speziellen „Firmenservice“/ Unternehmen können Mitarbeitertickets für den öffentlichen Nahverkehr ordern/ Schwerpunkt des Verkaufs ist Düsseldorf/ Verkehrsnetz muß attraktiver werden ■ Von Bettina Markmeyer
Düsseldorf (taz) — 20 Minuten braucht sein Mercedes, um ihn nach Ende der Spätschicht um 22.30 Uhr vor seine Haustür in Essen-Bredeney zu befördern. Bus und Bahn bräuchten 55 Minuten, hat Herbert Herkenhoff von der Verkehrsleitung des Düsseldorfer Flughafens ausgerechnet. Also fährt er Mercedes.
Herkenhoffs Kollege Rudolf Wirth dagegen läßt seinen Opel jetzt stehen. Zumindest dann, wenn er Früh- und Spätdienst hat. „Anreiz“ dazu ist ihm „die neue Karte“, mit der er nun die Düsseldorfer Straßen- und Schnellbahnen frequentiert. Vorher sei er „nur hin und wieder mit dem Nahverkehr zur Arbeit gefahren“. Schon nach drei Monaten gibt sich der Mann radikal. Es könnten, meint er, gar nicht genug Anstrengungen unternommen werden, Menschen aus den Autos auf die Bahn zu bringen: „Das müßte im Grundgesetz verankert werden.“
Seit Ende letzten Jahres fahren 61,2 Prozent der gut 2.300 Beschäftigten der Düsseldorfer Flughafengesellschaft mindestens einmal die Woche und 36,7 Prozent der MitarbeiterInnen ausschließlich mit Bussen und Bahnen zur Arbeit. Grund dafür ist ein Ticket des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR), das alle Beschäftigten seit Januar dieses Jahres bekommen, für 22 bis 45 Mark. Ohne dieses Angebot nutzten lediglich 16,7 Prozent — also gegenüber den heutigen Zahlen nur knapp ein Drittel — der Flughafen-Angestellten den öffentlichen Verkehr.
Nachdem sich im Revier in Sachen Umweltkarte lange gar nichts gerührt hatte, führte der Verkehrsverbund zum Januar dieses Jahres gleichzeitig mit dem „Ticket 2000“ den „Firmenservice Ticket 2000“ ein. Wie Großkunden bei der Bundesbahn können jetzt auch beim VRR Unternehmen oder Behörden für ihre Belegschaft verbilligte Fahrkarten kaufen. Mit dem Firmenticket kann man genausoviel und genausoweit fahren wie mit der neuen Umweltkarte. Übertragbar ist es jedoch nicht. Damit wollte der VRR „schwunghaftem Handel“ mit den Billigtickets vorbeugen.
Zwar spricht keiner der Beteiligten an Rhein und Ruhr über das Firmenticket, ohne nicht auch ökologisch angehauchte Statements über die Segnungen des öffentlichen Nahverkehrs abzulassen. Doch dürfen die Motive der Unternehmen, die bisher den „Firmenservice“ geordert haben, getrost woanders als in einer plötzlich erwachten Liebe zu sterbenden Bäumen gesucht werden. Der VRR seinerseits hat vor dem durchaus begehrten Firmenticket — ein in der Bundesrepublik bisher einmaliges Angebot — diverse Hürden aufgebaut, die die meisten Betriebe gar nicht nehmen können.
Im Sommer des letzten Jahres gelang es VRR-Chef Zemlin, die Flughafengesellschaft zu einem Experiment zu bewegen. Vom 1. Juli bis zum 31. Dezember bekamen alle Beschäftigten kostenlos eine VRR- Karte. Und siehe da: AutofahrerInnen stiegen um — oder nutzten die Karte zumindest tageweise. Hintergrund der Großzügigkeit: Unmittelbar am Flughafengelände wird derzeit der Flughafenknoten der heiß umstrittenen Ost-West-Autobahn 44 gebaut, mit dem „der Rhein-Ruhr- Flughafen kreuzungsfrei an das Autobahnnetz angeschlossen“ wird. Für den willkommenen Autobahnanschluß mußten jedoch Mitarbeiterparkplätze weichen. Bei Schichtwechsel wurde es knapp. Die Geschäftsführung hätte künftig mehr Geld für Parkplatzerweiterungen aufbringen müssen als jene 700.000 DM, die das Firmenticket jährlich kostet. Seit Januar gibt es das Firmenticket für die Belegschaft auch nicht mehr kostenlos. Jeder muß bezahlen, egal, ob er die Karte nutzt oder nicht. Das sorgte noch jüngst für betriebsinterne Debatten.
Der Grund für die Mißstimmung liegt beim VRR. Ein Firmenticket kann nur bekommen, wer für alle Beschäftigten seines Betriebs eine Karte kauft. „Die, die nicht fahren, subventionieren die, die fahren“, wiegelt VRR-Sprecher Blombach den Konflikt um diese Regelung ab. Eine Interessentin wie beispielsweise die Essener Stadtverwaltung mit 12.000 Beschäftigten, die das Firmenticket „gerne gehabt hätte“, will es jedoch nicht 6.000mal unnütz kaufen. Die zweite VRR-Bedingung: Es müssen mehr als 100 Mitarbeitertickets abgenommen werden. Damit sind nahezu alle kleinen und mittelständischen Unternehmen ausgeschlossen. Nur der Düsseldorfer Einzelhandelsverband hat bisher die zweite VRR-Hürde übersprungen und per Sammelbestellung geordert. Die Not war besonders groß: In der Düsseldorfer Innenstadt sind freie Parkplätze so selten wie Zebras in Deutschland.
Schwerpunkt des Firmenticket- Verkaufs ist derzeit Düsseldorf. Bisher 14 Unternehmen mit 14.400 MitarbeiterInnen, darunter die Stadtwerke Düsseldorf, das Finanzamt und diverse Banken, haben abgeschlossen. Die Stadtwerke geben das Ticket kostenlos an die MitarbeiterInnen weiter, andere Firmen legen die Kosten um. Im Revier dagegen tut sich noch nichts. Hier sind die Verbindungen viel schlechter als im Düsseldorfer Raum. Daß letztlich aber vernünftige Fahrpläne, Anschlüsse, kurze Taktzeiten, erreichbare Haltestellen und der Service darüber entscheiden, wie viele Menschen man aus den Autos auf die Bahn holen kann, zeigen auch die Antworten der Flughafen-MitarbeiterInnen. Die Gleitzeit arbeitenden Verwaltungsangestellten können sich zwar nach den Abfahrtszeiten richten, ihnen sind Busse und Bahnen aber zu langsam.
Für viele SchichtarbeiterInnen sind dagegen Abfahrtszeiten und Anschlüsse indiskutabel. Peter Sieber, der aus Dinslaken nach Düsseldorf muß, hat ein paarmal ausgekostet, „wie lang einen halbe Stunde nach der Nachtschicht auf dem Bahnhof von Oberhausen ist“. Seitdem fährt er die halbe Strecke bis Duisburg mit dem Auto. Nur wenige sind so geduldig wie Karl-Heinz Schock von der Hallenaufsicht, der seit elf Jahren von Wuppertal-Oberbarmen zu allen drei Schichten mit der Bahn fährt. Seit letztem Sommer bringt ihn ein Eilzug für PendlerInnen frühmorgens um kurz nach vier nach Düsseldorf, wo er dann eine Stunde vor Dienstbeginn ankommt. Das mache ihm nichts, versichert der 60jährige, nur daß der Eilzug im Winter nicht führe, sei sehr bedauerlich. Dann müsse er umsteigen und brauche erheblich länger. Berufstätige haben nun mal das ganze Jahr Schicht und nicht einen Sommer- und einen Winterfahrplan wie die Bahn.
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