: Gegen die Legende vom Widerstand
Wolfgang Menges TV-Zweiteiler „Ende der Unschuld“ über die deutschen Atomforscher im 3. Reich ■ Von Reinhard Lüke
Warum gelang es den deutschen Atomforschern trotz eines ursprünglichen Wissensvorsprungs und der Mitarbeit von hochkarätigen Experten wie Werner Heisenberg, Otto Hahn und Carl Friedrich von Weizsäcker während des Zweiten Weltkriegs nicht, die Bombe zu bauen? Als Antwort auf diese Frage konnte lange Zeit das gelten, was die damals Beteiligten nach 1945 selber darüber bekundeten. Gekonnt hätten sie schon, nur hätten moralische Skrupel die davon abgehalten, die Bombe zu bauen und sie den Nazis in die Hände zu geben.
Daß Robert Jungk diesen Erklärungen damals blauäugig Glauben schenkte und 1958 mit seinem Buch Heller als tausend Sonnen dazu beitrug, die Legende vom passiven Widerstand der deutschen Atomforscher gegen Hitler in die Welt zu setzen, erklärt er heute u.a. mit seiner „persönlichen Hochschätzung dieser eindrucksvollen Persönlichkeiten“. Nachzulesen in seinem Vorwort zu Mark Walkers 1990 erschienenen Buch Die Uranmaschine. Mythos und Wirklichkeit der deutschen Atombombe, das diesen Widerstand stichhaltig als Legende entlarvt.
Das Ende der Unschuld, eine Auftragsproduktion des WDR, versucht zu rekonstruieren, was in den Laboren der deutschen Atomforscher zwischen der Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn 1938 und ihrer Gefangennahme durch die Alliierten im Frühjahr 1945 gedacht und geschrieben wurde. Der aufwendig gemachte Zweiteiler belegt eindrucksvoll, daß der Bau der deutschen atombombe an vielen Dingen scheiterte: an Materialknappheit, dem Desinteresse der Nazis, an Kompetenzstreitigkeiten und nicht zuletzt an wissenschaftlichen Grabenkämpfen unter den Forschern. Keinesfalls jedoch an ihrem politischen Widerstand. Sie waren nicht unbedingt stramme Nazis, aber ihr Wissen um die Tatsache, daß ein Erfolg ihrer Experimente letzlich Adolf Hitler die Atombombe beschert hätte und dieser kaum Skrupel gehabt haben würde, sie auch einzusetzen, vermochte ihren Forscherdrang in keiner Weise zu bremsen.
Trotz dieses brisanten Stoffes hat Drehbuchautor Wolfgang Menge geradezu übervorsichtig jede Schuldzuweisung vermieden und alles darangesetzt, dem Film nicht den Charakter einer Enthüllungsstory zu geben. Sein Buch folgt bis auf wenige Ausnahmen akribisch genau dem, was an wissenschaftlichen Aufzeichnungen, Dokumenten und Protokollen heute noch verfügbar ist (einige Passagen bei Walker lesen sich wie das Drehbuch zum Film). Ex-DDR- Regisseur Frank Beyer (Spur der Steine) hat diese Chronologie wie ein Kammerspiel inszeniert. Wie sich das Geschehen vornehmlich auf Labore und Konferenzräume beschränkt, wird die Dramaturgie des Films wesentlich durch den Fortgang der Forschungen bestimmt. So muten die ersten 1 1/2 Stunden beispielsweise wie ein Beitrag zum Telekolleg Physik an, während erst der zweite Teil durch die Kontroverse zwischen Heisenberg und Kurt Diebner, dem vom Heereswaffenamt mit der Leitung des Unternehmens beauftragten Parteifunktionär und Physiker, zusehends an Farbigkeit und Spannung gewinnt.
Was dieses ambitionierte Fernsehspiel trotz des brisanten Themas und brillanter Darsteller wie Udo Samel, Rolf Hoppe, Walter Kreye, Hanns Zischler und Ulrich Mühe letzlich unbefriedigend macht, ist seine eigentümliche Gleichzeitigkeit von Abstraktion und Historizität. Die Überlegung, bei der Inszenierung auf alles zu verzichten, was nicht zur unmittelbaren Arbeit der Forscher gehörte, um so deren Scheuklappen eine dramaturgische Entsprechung zu geben, ist sicherlich nachvollziehbar. Dennoch liegt in der weitgehenden Ausblendung des Nazi-Alltags auch die Crux des Unternehmens. Und das nicht nur, weil eine Figur wie der stramme Parteifunktionär Kurt Diebner (Udo Samel) so unversehens zum Sympathieträger wird, da er sich kleiner Aufsteiger ständig der arroganten Herabsetzungen des Kulturbürgers und Nobelpreisträgers Heisenberg erwehren muß. Indem der Film durch gelegentliche Sprünge über den Atlantik zwar richtigerweise betont, daß es ohne diese deutschen Forscher auch die amerikanische Atombmbe nicht gegeben hätte, aber gleichzeitig den Nationalsozialismus weitgehend außen vor läßt, legt er den fatalen Schluß nahe, es habe unter dem Aspekt der Moral kaum einen Unterschied gemacht, ob man nun in Los Alamos oder in Berlin an der Bombe arbeitete. Auf der anderen Seite bleibt der Film zu sehr der Historizität verhaftet, als daß es ihm gelänge, die Brisanz der Frage von Wissenschaft und Verantwortung über das Problem „Atombombe“ hinaus zu verdeutlichen. Man hätte den Bogen ja nicht gleich bis zur Genforschung schlagen müssen. Schon ein Blick auf die Nachkriegskarrieren der damals Beteiligten hätte die Kontinuität dieses Problems deutlich werden lassen. Während Carl Friedrich von Weizsäcker — mit bisweilen abenteuerlichen Erklärungen seiner damaligen Position — zum „Friedensforscher“ avancierte, machten sich beispielsweise Kurt Diebner und Erich Bagge zu profilierten Fürsprechern der deutschen Atomindustrie, wobei letzterer zudem jahrelang im Auftrag der Bundeswehr atomare Waffenwirkungsforschung betrieb, deren Ergebnisse, so Robert Jungk auf einem eigens vom WDR veranstalteten Symposium, bis heute seltsamerweise geheimgehalten werden.
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