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Unvorhersehbar chaotisch

■ Paradoxa in der Mathematik

Begonnen hat alles mit der Unschärferelation, die Werner Heisenberg 1927 formulierte: Wird der Impuls eines Teilchens exakt gemessen, so ist keine Aussage mehr über den Ort dieses Teilchens zum Zeitpunkt der Messung möglich.

Wird umgekehrt der Ort genau bestimmt, kann keine genaue Angabe für den Impuls getroffen werden. Dasselbe Phänomen gilt für die Energie und den Zeitpunkt eines Ereignisses. Diese Unschärfe liegt nicht etwa an der mangelhaften Qualität der Meßinstrumente, sondern ist ein die gesamte Mikrophysik beherrschendes Naturgesetz.

Noch bevor sich die NaturwissenschaftlerInnen von dem Schock, daß nicht nur der Mensch, sondern auch die Natur prinzipiell unberechenbar ist, erholen konnten, wurde ihr Glaube an die innerer Logik der Welt ein weiteres Mal erschüttert — und das in einer Disziplin, in der wegen ihrer unbestechlichen Exaktheit niemand damit rechnete, in der Mathematik.

Dem Österreicher Kurt Gödel gelang es in den dreißiger Jahren, mathematische Aussagen zu formulieren, die weder beweis- noch widerlegbar sind. Zu diesem erschütternden Ergebnis führten im Grunde ganz einfache Überlegungen. Gödel konstruierte Sätze, die in sich selbst unlogisch sind, wie „diese Behauptung hat keinen Beweis“. Ist diese Aussage wahr, so kann sie nicht bewiesen werden; ist sie dagegen falsch, so besitzt sie einen Beweis und sollte damit, da man natürlich widerspruchsfrei arbeiten will, wahr sein.

In der Mathematik wurden zwar im Laufe der Jahrzehnte noch mehr Paradoxa entdeckt, die nächste fachübergreifende Erschütterung brachte jedoch erst die Chaosforschung ein halbes Jahrhundert später. Nach ihr verhalten sich viele sich mit der Zeit verändernde Systeme, wie das Wetter, unser Herz, bestimmte menschliche Reaktionen oder die Marktwirtschaft, unvorhersehbar chaotisch. Weltweit berühmt geworden ist der Schmetterling in China, dessen Flügelschlag einen Wirbelsturm auslösen kann.

Den vorläufig letzten Showdown liefert die Erkenntnis, daß auch auf Maschinen kein Verlaß mehr ist. Computer haben ihren Mythos der Unfehlbarkeit verloren. Die Fachleute gehen nicht mehr von richtigen Programmen aus, sondern nur noch von Fehlerwahrscheinlichkeiten. Was schließlich dabei rauskommt, wenn man das Elektronenhirn mit einem bestimmten Programm füttert, vermag niemand vorherzusagen, selbst wenn das Programm zuvor getestet wurde.

Das macht diese Kisten doch gleich viel menschlicher, mag da so mancher sagen. Aber was, wenn nicht der Computer, soll im ausgehenden zweiten Jahrtausend die Unfehlbarkeit Gottes, an den zumindest in den Metropolen ja auch niemand mehr so recht glauben mag, als einen Fixpunkt in einer Welt der Ungewißheit ersetzen? Wolfgang Blum

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