: Jenseits des fundamentalistischen Kinos
■ Neue iranische Filme in der Filmbühne am Steinplatz
Nicht gegen den Film, nur gegen die Prostitution im Film sei er, der Ajatollah Khomeini, gewesen. Damit kanalisierte er den zügellosen Ikonoklasmus seiner Revolutionsadepten der ersten Stunde, die das Kino als Hort lasterhafter Verwestlichung brandmarkten, in agitatorisch profitablere Bahnen. Ehrgeizige staatliche Vorhaben im Verbund mit einer protektionistischen Filmpolitik ließen seit Mitte der achtziger Jahre eine erstaunliche nationale Kinematographie entstehen, die es mittlerweile auf eine beachtliche Jahresproduktion von mehr als fünfzig Spielfilmen bringt.
Im Schatten zuhauf produzierter filmpropagandistischer Schützenhilfe im Krieg gegen den Irak reflektiert die jüngere Generation ambitionierter Filmemacher (darunter entgegen landläufiger Vorstellung auch erfolgreiche Filmemacherinnen) die kritische Situation des eigenen Landes. Die Not der mullhahörigen Zensur inspiriert das neuere iranische Kino zu seinen besten Tugenden: sozial-realistische Alltagsnähe, die sich mit poetisch-sinnlicher Bildkraft verbündet. Wie in einem Mikrokosmos werden in anscheinend unverfänglichen Alltagsgeschichten Brüche und Widersprüche, Ängste und Bedrängnisse chiffrierbar.
Eine Auswahl der jüngsten Produktionen, die auf internationalen Festivals auf das beinahe unbekannte Filmland Iran aufmerksam machten, ist gegenwärtig in der Filmbühne am Steinplatz zu sehen.
In Bahram Beizais Film Bashu, der kleine Fremde, den die iranische Kritik einhellig zum besten einheimischen Film der achtziger Jahre kürte, verschlägt es eine Kriegswaise aus dem umkämpften Gebiet an der irakischen Grenze in den Norden. Bashu, der Sprache und Gebräuche seines Zufluchtsortes nicht mächtig, wird von den Dorfleuten seinem Schicksal überlassen. Mehr noch, sie wollen den Jungen, der ihre festgefügte Ordnung aufrüttelt, auch dann noch loswerden, als sich eine couragierte alleinstehende Frau seiner erbarmt und ihm Obdach gewährt. Ein unmißverständliches Spiegelbild der iranischen Gesellschaft, wo hinter archaischen Ritualen Intoleranz, Mißgunst und unverhohlener Egoismus aufscheinen. Bashu ist zur Symbolfigur des jungen iranischen Kinos geworden, das sich mit den Hoffnungen und Sehnsüchten der Heranwachsenden identifiziert, denen überkommene Dogmen den selbstbestimmten Lebensweg verbauen. Hin- und hergetrieben, wird ihr verzweifeltes Anrennen gegen sinnentleerte Hierarchien zum Amoklauf, bei dem ihre unbefangen- unschuldigen Träume allzubald auf der Strecke bleiben. Lebensläufe, denen schon nach den ersten eigenen Schritten Selbstaufgabe als Preis des Überlebens abverlangt wird.
Wie lästige Krätze — so der bildhafte Titel des Films von Abolfazl Jalili — wird ein jugendlicher Delinquent in einer drakonischen Erziehungsanstalt zerrieben. Ein Hetzen und Jagen, Hauen und Treten, bei dem jeder sich selbst der nächste ist, macht das Leben zur Hölle und bricht einer Kindheit das Rückgrat, deren Spiele zu grausamen Überlebenskämpfen eskalieren.
Amir Naderi schuf vor Jahren in seinem gleichnamigen Film das Leitmotiv vom jugendlichen Renner. Die Spur ebendieses um sein Leben rennenden Jungen verliert sich in seinem jüngsten Film Wasser, Wind, Staub im Ungewissen. Naderi steigert die semidokumentarische Suche nach einem Zuhause auf unwirtlichem Land zur existenziellen Metapher ewigen Getrieben- und Ausgeliefertseins.
Einer der kompromißlosesten Kritiker der islamischen Revolution ist deren einstiger Wortführer Mohsen Makhmalbaf. Anfang der achtziger Jahre noch Initiator der Kunstabteilung der islamischen Propagandaorganisation, präsentiert er ein Jahrzehnt darauf, verbittert über die preisgegebenen Ideale, die Generalabrechnung. Alles ist beim Alten geblieben; Korruption und Ausschweifung der saturierten Oberschicht auf Kosten massenhafter Verelendung. Je weniger die einstigen Parolen von der postrevolutionären Wirklichkeit eingelöst werden, desto manifester wird das Trauma eines Heimkehrers von der irakischen Front.
Wo die Gegenwart alle Aussicht verdunkelt — Makhmalbafs Film schließt mit starrem Blick auf ein aschgraues Häusermeer — bleibt als Ausweg nur die nostalgische Verklärung. Sa'ied Ebrahimifars Debüt Bambuskiel und Granatapfel gelang dies in Bildern von makelloser Reinheit und berückender ästhetisch- sinnlicher Stringenz. Roland Rust
Die umfangreiche Filmschau jüngerer iranischer Produktionen wird von »filmedia« Wiesbaden zumeist in deutscher Erstaufführung in der Filmbühne am Steinplatz bis einschließlich Samstag, 6. April, in jeweils wechselnden Programmen um 11, 13 und 15 Uhr präsentiert. Die Filme laufen in Originalfassung (Persisch) mit englischen Untertiteln.
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