: Die Liebe zum Telefon
■ „Julia Has Two Lovers“ — ein Film von Bashar Shbib
Julia hat ein Telefon. Daniel hat ein Telefon. Julia hat einen langweiligen Liebhaber, der die Missionarsstellung bevorzugt und Julia heiraten will. Daniel hat Langeweile. Julia weiß nicht, daß Daniel schon andere Frauen angerufen hat. Daniel ist geschickt. Er ruft an und wünscht ihr alles Gute zum Geburtstag. Julia hält es für eine nette Verwechslung, und nach einer artigen Entschuldigung von Daniel könnte das Gespräch beendet sein. Aber beide lieben das Telefon, weil es Nähe vortäuschen kann, ohne zu persönlich zu werden, weil es Lügen zuläßt und Phantasien, die sich am anderen Ende der Strippe zu Wahrheiten verdichten. Also legt Julia nicht auf, sondern setzt das Telefonat mit einer Lüge fort. Groß und blond sei sie, vertraut sie ihm an und beginnt mit Daniel eine Romanze via langer Leitung.
Als sich Daniel den Hörer seines kabellosen Apparates mit Paketband an die Backe klebt, ahnt der Zuschauer, daß er sich auf eine hohe Telefonrechnung gefaßt machen kann und damit auf einen Hörfilm. Aber zum Glück versteht es Bashar Shbib — ein kanadischer Regisseur, der in Los Angeles arbeitet —, die Perversionen einer verkabelten Gesellschaft in überspitzten Bildern zu karikieren. Die Freuden der Telefonanie lassen sich überall genießen. In der Badewanne, bei der Morgentoilette und beim Abwasch. Und wer während des Telefonierens nicht kochen kann, ist eben nicht tauglich für die Wonnen einer modernen Kommunikation. Julia legt Musik auf und regt Daniel und die ihn belästigenden Nachbarn dazu an, in seiner Wohnung zu tanzen. Das lockert die Stimmung und die Zunge. Der erste Kuß, der erste Orgasmus, Anekdoten oder Wahrheiten? Am Telefon ist beides möglich wie im Film.
Indem Bashar Shbib die Aspekte des Telefonierens zelebriert, die wir alle kennen, die Abhängigkeit von diesem Gerät, die angenehme Sicherheit der Distanz, das angenehm Vertraute einer fremden Stimme, begegnet er der Gefahr, daß die Sprach- Orgie zwischen Julia und dem nie gesehenen Liebhaber in geschwätzigem Telefon-Sex endet. Das Universelle an der Kunst der Liebe zum Telefon und an dieser Liebe über das Telefon erhält dem Film die Spannung.
Irgendwann ist auch das längste Telefongespräch zu Ende. Nicht aber der Film. Bashar Shbib folgt dem momentan noch geltenden Prinzip, daß selbst die härtesten Telefon- Autisten im Verlauf ihres Tuns das Begehren verspüren, den Jemand am anderen Ende der Leitung kennenzulernen. Plötzlich beginnt ein anderer Film. Daniel kommt vorbei, entspricht genau den Vorstellungen, die Julia sich von ihm gemacht hat, und darf ins Bett. Nun steht Julia zwischen zwei Liebhabern. Die Telefonstimme hat Gestalt angenommen und verlangt einen Platz in ihrem Leben. Diese Geschichte hat Bashar Shbib eher konventionell erzählt. Zum Schluß bleibt Julia nur noch die Erinnerung an ein aufregendes Telefongespräch. Telefonieren ist allemal schöner als die Wirklichkeit. So bleibt ihr nur noch eins zu sagen: Ruf doch mal an!
Christof Boy
Bashar Shbib: Julia Has Two Lovers. Mit Daphna Kastner, David Duchovny u.a. USA/Kanada 1991.
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