: Hauptstadtelend
■ Betr.: "Brasilia an der Spree?", taz vom 26.3.91
betr.: „Brasilia an der Spree?“ von Ulrich Hausmann,
taz vom 26.3.91
Schon die in Frageform gekleidete Unterstellung „Brasilia an der Spree“ nimmt vorweg, mit welch dubiosem Argumentensalat der Verfasser des Debattenbeitrags Stimmung machen will. Selbst nach schwersten Kriegsschäden und 28 Jahren Teilung hat Berlin nichts, aber auch gar nichts, mit dieser Retortenstadt gemeinsam und wird es auch nie haben.
Der Verfasser sollte sich doch mal eines klar machen: Um welche Alternativen geht es bitte schön in der Hauptstadtdebatte? Um Bonn oder Berlin! Ginge es um Berlin oder Frankfurt, dann könnten wir über die Sache noch mal in Ruhe diskutieren. Hat Hausmann etwa verdrängt, wofür die „Struktur Bonn“ (Hartung, taz vom 25.3.91) in den letzten 42 Jahren stand? Was ist denn von den liberalen Traditionen der südwestdeutschen Kleinstaaten im heutigen Baden-Württemberg übriggeblieben außer den Universitätsstädten Freiburg, Tübingen und Heidelberg? Weiß der Verfasser, wo die Gründe für die Weg-von-Berlin-Bewegung (nehmen wir einmal an, daß es sie wirklich gab!) in der alten DDR lagen? Soll Berlin nachträglich allein dafür bestraft werden, daß es von den roten und braunen Diktatoren als Hauptstadt mißbraucht wurde? Es waren doch nicht die Berliner, die die braune und rote Pest an die Macht gebracht haben.
Hartung hat einen Tag früher deutlich gesagt, was von den Bonn- Befürwortern zu halten ist. Wo bitte schön sind denn die Impulse, die vom rheinisch-katholischen Provinzialismus Adenauerscher und Kohlscher Prägung ausgehen und jemals in der Nachkriegszeit ausgegangen sind? Von Berlin, wenn auch nur vom Westteil der Stadt aus den bekannten Gründen, sind in den letzten viereinhalb Jahrzehnten mehr zukunftsweisende Anstöße ausgegangen als von allen anderen deutschen Städten — außer Frankfurt — zusammen.
Der Beitrag Ulrich Hausmanns dokumentiert das ganze Elend der bequem gewordenen bundesdeutschen Linken, die ihr Geschichtsverständnis aus „Geschichtswerkstätten“ bezieht und deshalb ach so modisch von der Vernetzung unterschiedlicher Erfahrungen und Geschichten faselt. [...] Hans-Jürgen Michel,
Otterndorf
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