piwik no script img

Die Einheit der Palästinenser als Balanceakt

Die Palästinenser in den besetzten Gebieten fordern mehr Einfluß in der PLO — und streiten darum, wer ihre legitimen Vertreter sind  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Seit Ende des Golfkriegs sehen sich die Organisationen der Palästinenser einem politischen Generalangriff gegenüber. Als „Bestrafung“ für die proirakische Haltung während des Krieges haben die Staaten des Golfkooperationsrates der PLO offiziell ihre finanzielle Unterstützung gestrichen. Yassir Arafat beklagt den Verlust von nicht weniger als 80 Prozent der Einkünfte der PLO, die sich jetzt mit einer Summe von 40 Millionen US-Dollar begnügen muß.

Vor allem aber richtet sich die sogenannte „politische Strafe“ der Kriegsalliierten gegen die PLO-Führung in Tunis, die als Verhandlungspartner eliminiert werden soll — eine Forderung, auf der Israel schon seit Jahren bestanden hat. Vorsorglich hatte man schon früher die wahrscheinlichen Nachfolger Arafats umgebracht, und Washington hatte den Dialog mit der PLO-Spitze schon Monate vor der irakischen Invasion in Kuwait eingestellt. Und die Schamir-Regierung nimmt mit großer Genugtuung zur Kenntnis, daß der Krieg und die Spaltung der arabischen Staaten auch die Europäer „PLO-scheu“ gemacht hat. Die PLO, so der Versuch, soll nun endgültig delegitimiert werden; und wenn dies nicht vollständig gelingt, so soll wenigstens ein kräftiger Keil zwischen die PLO-Führung in der Diaspora und die unter israelischer Herrschaft lebenden Palästinenser getrieben werden.

Die Palästinenser stecken so in einem politischen Dilemma: Wie kann unter dem Druck der US-Regierung und Israels über eine Zwischenlösung verhandelt werden, ohne dabei die „Zweistaatenlösung“, das Ziel eines souveränen palästinensischen Staates, aufs Spiel zu setzen? Und welche Umstrukturierung der PLO und ihrer Institutionen führt zu der notwendigen internen Demokratisierung und kommt gleichzeitig mit eigenen Initiativen den US-israelischen Vorschlägen für „Verhandlungen ohne die PLO“ zuvor?

Der Möglichkeit einer offenen Debatte sind durch die israelische Zensur und die Reisebeschränkungen für die palästinensischen Führer sehr enge Grenzen gesteckt. Und noch immer werden viele der prominenten Palästinenser in den besetzten Gebieten in Administrativhaft gehalten. Dennoch sind sich die Palästinenser in der Westbank und dem Gazastreifen einig, daß eine Stärkung ihres Einflusses bei den Entscheidungen und in den Institutionen der PLO erorderlich ist.

An erster Stelle steht hierfür der Vorschlag, neue Wahlen zum Nationalrat — dem palästinensischen Exil- Parlament — abzuhalten. Dabei sollen diesmal auch die Delegierten aus den besetzten Gebieten durch ordentliche Wahlen bestimmt und nicht wie bislang von oben ernannt werden. „Wir müssen denjenigen den Boden unter den Füßen wegziehen, die das palästinensische Volk spalten wollen“, erklärt Radi Jaraia, Redakteur der Ost-Jerusalemer Tageszeitung 'Al Fajr‘. „Als praktischen ersten Schritt schlage ich die Auflösung des Nationalrates und neue Wahlen unter Aufsicht der Vereinten Nationen in der Westbank und im Gazastreifen vor. Damit wird“, fügt Jaraia hinzu, „der Palästinensische Nationalrat tatsächlich zum Vertreter aller Palästinenser, der in der Diaspora und der in den von Israel okkupierten Gebieten“.

Die große Schwierigkeit dieser Pläne liegt jedoch darin, daß Israel derlei Wahlen in den besetzten Gebieten wohl keinesfalls gestatten würde. Und solange die PLO als „Terror-Organisation“ verboten ist und eine offen agierende PLO-Führung sofort ins Gefängnis gebracht oder deportiert würde, kann einstweilen an eine legale Palästinenserführung mit ihren Institutionen in den besetzen Gebieten nicht gedacht werden. Die Frage eines neuen Verhältnisses zwischen der Exil-Führung und der in dem Pälastinenser- Staat in spe lebenden Bevölkerung steht weiterhin ungelöst auf der Tagesordnung.

Die Meinungen bleiben so weiterhin geteilt. Während viele eine Demokratisierung zwar befürworten, unter den Bedingungen der Okkupation allerdings für unmöglich halten, plädiert etwa der prominente Feisal Husseini, der die palästinensische Delegation beim Treffen mit US-Außenminister Baker angeführt hat, für den Versuch zu neuen Wahlen: „Anstatt zu warten, bis andere in der Welt einen Plan für Wahlen formulieren oder uns in eine noch schlechtere Situation zwingen, sollten wir selbst die Initiative ergreifen und einen Wahlprozeß vorschlagen, der unseren Interessen entspricht.“

Linke Kreise im Spektrum der PLO begegnen diesen Vorstellungen mit großer Skepsis. Stattdessen stellen sie vielmehr die Gruppe prominenter Palästinenser um Husseini in Frage, die in den vergangenen Wochen als halbamtliche Führung der Palästinenser in den besetzten Gebieten mit Baker und Regierungsvertretern anderer Staaten gesprochen hatte. „Ich kann nicht verstehen, wie diese Persönlichkeiten gewählt wurden, und nach welchen Kriterien“, kritisiert etwa der Vorsitzende des Schriftstellerverbands in den besetzten Gebieten, Assad el Assad: „Weshalb sind gerade sie die richtigen Leute für diese Aufgabe?“ Und in der Folge schlägt der den Kommunisten nahestehende Assad el Assad vor, daß die Ost-Jerusalemer Führung einstweilen durch die Tausenden von „Sicherheitsgefangenen“ in israelischen Gefängnissen gewählt werden soll, „auf die man sich auf alle Fälle verlassen kann...“

Diese und andere wichtige Fragen werden wahrscheinlich schon in diesem Monat zur Aussprache und vielleicht auch zur Entscheidung kommen, wenn der Zentralrat — eine Art Bindeglied zwischen der PLO-Exekutive und dem Nationalrat — voraussichtlich am 20. April in Algier zusammentritt. Unter anderem wird dann auch ein aus Ost-Jerusalem stammender Vorschlag für eine „pragmatische Lösung“ vorliegen, der den realpolitischen Zwängen Rechnung trägt. Es soll eine palästinensische Initiative sein, die Israel zu einer Reaktion zwingt, ohne zu provozieren. Das wird heißen: Die Palästinenser in den besetzten Gebieten akzeptieren prinzipiell die israelische Forderung nach einer „gestaffelten Lösung“ mit verschiedenen Zwischenstadien, wenn es feste Garantien für einen Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten und einen palästinensischen Staat als Ende des Verhandlungsprozesses gibt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen