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Von Schafs- und Ochsenköpfen

■ Alexanderplatz — ein Ort der Geschichte und Literatur/ Verirrt hat man sich schon immer hier

Berlin-Alexanderplatz — berühmt wurde der Platz mitten in der mittigsten Mitte Berlins literarisch so richtig, als der Armenarzt Alfred Döblin 1929 sein nächtens niedergeschriebenes Buch über den Arbeiter Franz Biberkopf veröffentlichte. Die Zwanziger, das sind für den entlassenen Häftling Biberkopf rasende Zeiten auf rasenden Plätzen, in denen er sich nicht zurechtfindet: »Rumm rumm wuchtet vor Aschinger auf dem Alex die Dampframme. Sie ist ein Stock hoch, und die Schienen haut sie wie nichts in den Boden... Die basteln und murksen zu Hunderten rum den ganzen Tag und die Nacht. Ruller ruller fahren die Elektrischen, Geld mit Anhängern, über den holzbelegten Alexanderplatz, Abspringen ist gefährlich...«

Biberkopf, das klingt auch ein bißchen nach Ochsenkopf, für manche Berliner eine gefährliche, eine schreckliche Erinnerung. Das Arbeits- und Zuchthaus hieß so, ganz in der Nähe des Alex', später ein Obdachlosenasyl, dann abgerissen und 1886 von einem wuchtigen Polizeipräsidium überbaut.

Ochsenköpfe — die gab es schon immer hier. Bis 1805 hieß der Alex »Ochsenplatz« und war schlicht ein Viecher- und Wollemarkt mit Kuh-, Schafs- und Menschengeschrei, bis ein ganz hohes Tier nach Berlin kam, der Zar Alexander, und ihm zu Ehren der Platz umbenannt wurde. Auch ein »Gasthof zum Hirschen« mit einem Widderkopf über allen Fenstern stand hier, Franz Biberkopf muß ihn noch gesehen haben, und die Sage geht, daß der Besitzer das andere ganz hohe Tier namens Friedrich den Großen gebeten haben soll, den Fassadenschmuck anbringen zu lassen. 99 Schafsköpfe prangten gar bald an der Hauswand, und der König soll dem Wirt ein nettes Briefchen geschrieben haben: »So ihm die 99 Schafsköpfe nicht genug sind, dann stecke er seinen Kopf aus dem Fenster heraus, dann ist das Hundert voll.«

Wenn die folgenden Generationen, die sich auf dem Alex alle versammelten, nur Schafsköppe gewesen wären, es wäre schön gewesen. Schon in Franz Biberkopfs Zeiten marschierten die Nazis, in den Dreißigern besuchte Horst Wessel dort sein SA-Sturm- und Stammlokal. Die Nazis zettelten den Krieg an, und der schlug heftig zurück, auch auf den Alex. Von der alten Bebauung blieb trotzig und unbeschädigt nur das häßliche Berolina- und Alexanderhaus erhalten, und inmitten der Trümmer des Jahres 1947 wurde es auch Alfred Döblin ganz anders zumute: »Ich bin wie Diogenes mit der Laterne, ich suche und finde nichts.«

Endgültiger Abriß und Kahlschlag in den sechziger Jahren: Die Schafs-Einheitspartei Deutschlands brauchte einen neuen Versammlungsort für ihre Herden. Ungeschlachte Betonklötze wurden neben- und aufeinandergetürmt: das Kaufhaus, das Hotel Stadt Berlin, der Telespargel mit der drehenden Aussichtsplattform. Eine nette Sicht hat man von dort auf die wimmelnden Massen, die sich immer noch so leicht verirren, geographisch wie politisch. Ach, wenn er doch recht behalten hätte, der Journalist des Jahres 1932, der sich die nächsten Jahrzehnte auf dem Alex so golden ausmalte: »...vielleicht beginnt man dann schon über die Straßenbahn zu lächeln, weil längst kleine Schienenzeppeline mit Umsteigeberechtigung ins Taxiflugzeug übern Alex knattern!« Ute Scheub

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