HAUPTSTADTGANZNACKT: Hochgestellte Blusenkragen
■ Montagsexperten kommen zu Wort
Spätestens seit der Maueröffnung hatte die Berliner Abendschau ein Problem. Nicht nur, daß alle Welt von der Metropole redete, irgendwie hatte sich Berlin seit dem 9. November '89 verändert. Trotzdem setzte die Abendschau weiter auf dröge Rathausberichte und lauschige Kiezmentalität: »Macht's gut, Nachbarn« (Alt-Moderator Hans Werner Kock). Man hielt unbeirrt an der selbst gesetzten Aufgabe fest, mindestens einmal wöchentlich eine Grillparty in einer Kleingartenkolonie direkt und mit großem Ü-Wagen-Aufgebot auf die Berliner Bildschirme zu bringen. Dieses an sich begrüßenswerte Vorhaben wurde durch den Mauerfall jäh in Frage gestellt. Das pulsierende Großstadtleben, das an jeder Straßenecke vermeldet wurde, verlangte eine entsprechende Berichterstattung. Die Grillparty-Fraktion innerhalb der Berliner Abendschau hatte ausgedient. Sie mußte gehen. Hans Werner Kock, Standbein der hiesigen Stammtischbewegung, und Evelin Lazar, Vertreterin des öffentlich- rechtlichen Kaffeeklatsches, wurden ins dritte Programm abgeschoben. Den ehemals tragenden Moderatoren der Abendschau droht lebenslänglich Berlin Brandenburg.
Die Zerschlagung des gemütlichen Kerns der Abendschau war der erste Schritt, um das Metropolendefizit aufzuholen. Der zweite war der Kauf Ulrike von Möllendorffs, der zu allen Jahreszeiten modisch gekleideten ZDF-Heute- Redakteurin. Ulrike von Möllendorffs Leidenschaft für hochgestellte Blusenkragen hat sich mittlerweile in allen SFB-Abteilungen durchgesetzt. Zum Dank moderiert sie die Berliner Abendschau so, als handele es sich um ein hochbrisantes Politmagazin mit Reportern, die aber sowas von knallhart sind, daß sie einem glatt den Atem verschlagen müssen, weshalb eben nur noch eine unerschrockene Moderationskapazität wie Ulrike von Möllendorff helfen kann. Für die top-sonnengebräunte Ulrike von Möllendorff macht es schließlich keinen Unterschied, ob sie einen Bericht über die letzten Bomben auf Bagdad ankündigt oder über die ersten blühenden Krokusse im Botanischen Garten. Ulrike von Möllendorff wird immer bei einer wichtigen Passage die leicht gezupften Augenbrauen hochziehen, die Blätter beiseite legen, die Hände falten, den rechten Ellenbogen auf die Tischkante legen, sich darauf stützen und den Oberkörper plus Kopf nach vorn zur Kamera lehnen (siehe auch Sabine Christiansen in Tagesthemen).
Die Metropole rief, und Ulrike von Möllendorff kam. Genauer: Der SFB winkte mit Geld, und Ulrike von Möllendorff moderiert dafür jede zweite Woche. Die offensichtlich etwas neidischen Kolleginnen und Kollegen in der Masurenallee munkeln von 120.000 Mark Jahresgehalt plus 60.000 Mark Spesen für die durchschnittlich 35 nicht selbst geschriebenen Sätze pro Sendung. Oder, um Ulrike von Möllendorffs Anmoderation eines Beitrages über Prostitution zu zitieren: »Für Geld tun manche Frauen fast alles.« Beziehungsweise andersherum: Fürs Metropolenimage zahlt mancher Sender fast alles. Wenigstens hat die Bezahlung schon wieder Weltstadtniveau. Enno Bohlmann
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