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Ruinenfreundschaft

■ »Frühe Jahre — damals in Berlin« — DEFA-Filme im Babylon

Großes internationales Kino hat die DEFA in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens gemacht. Die erste Zäsur kam jedoch schon 1952, als viele von der Ufa übernommene Regisseure die DDR verließen; endgültig dann, als 1954 Wolfgang Staudte Berlin den Rücken kehrte und Hans Rodenberg die Studios in Babelsberg zu leiten begann. Mit dem kulturpolitischen 11. Plenum des ZK der SED 1965 und dem Verbot einer ganzen Jahresproduktion der DEFA wurde der locker-heitere bis verhalten kritische Ton endgültig aus dem Zelluloid des DDR- Films gekratzt. So richtig erholt hat sich das DDR-Kino, trotz heißer Musikfilme 1968, davon nie.

Auf den Spuren des Alltagssujets begibt sich das Babylon mit einer Reihe Frühe Jahre — damals in Berlin, die aus dem Fundus des ehemaligen Filmarchivs der DDR (jetzt Bundesfilmarchiv) gespeist wird. Monatlich sollen über ein Jahr verteilt vier Filme aus der Spielfilmproduktion der DDR gezeigt und damit vier Jahrzehnte auf dokumentarische und unterhaltende Weise durchstreift werden. Im Vorprogramm läuft eine Retro des Augenzeugen. Die Wiedervorführung des ständigen Kurzagitationsfilms, der die Wochenschau der Ufa ablöste, unterstützt diesen Ansatz mit authentischen Streiflichtern.

In knapp einem Monat wird die DEFA 45 Jahre alt. Am 17. Mai 1946 erfolgte die Lizenzübergabe durch die sowjetische Besatzungsmacht auf dem Gelände der ehemaligen Althof- Studios in Babelsberg. Schon gute drei Monate später legte Gerhard Lamprecht (Emil und die Detektive) mit Irgendwo in Berlin (1946) den ersten der unter dem Signet der DEFA produzierten Filme vor. Mit Harry Hindemith, Lotte Loebinger und Fritz Rasp konnte Lamprecht mehrere Honoratioren des Ufa-Establishments vor die Kamera holen. Allerdings hatte dies — wie von der DDR-Filmgeschichtsschreibung immer behauptet — nichts mit einem Vertrauensbeweis in die antifaschistisch-demokratische Ordnung und ihrer Repräsentanten zu schaffen. Berlin war selbst in seinen Trümmern immer noch die Filmmetropole. Babelsberg als größtes europäisches Filmgelände war relativ intakt und die personellen Strukturen des seichten Amüsierfilms waren glatt in das neue Zeitalter hineingerutscht. Bis 1949/50 zeigen die Filme der DEFA einen großen Hang zur Einzelperson, zum Charakter, denn die Klassiker des Tanz- und Revuefilms, der Komödie und des Schauspielerduetts waren noch aktiv und nahmen dankbar jede Beschäftigung an. Bald begannen jedoch die schrecklichen Erfahrungen des Krieges und des Lebens in den Trümmern das Unterhaltungsschema zu modifizieren, ohne es vollkommen zu ignorieren. Doch im Gegensatz zu den Filmen von Wolf, Staudte oder Maetzig erheben die Streifen wie Irgendwo in Berlin oder 1-2-3-Corona an keiner Stelle politisches Bekennertum zum Credo und zur Daseinsberechtigung. Erstaunlich an den Filmen dieser Reihe ist letztlich nicht, wie sehr sich die Menschen in den Halden voller Schutt und Ruinen amüsieren wollten, sondern wie gut sie es verstanden.

So oberflächlich die Handlungen dahinplätschern, so platonisch und oft leidenschaftsarm werden Beziehungen und Emotionen dargestellt. Freundschaft, Häuslichkeit und Zueinanderfinden — das sind die Werte der ersten Nachkriegsjahre. In Kein Platz der Liebe (1946) von Hans Deppe — der später neben einer Unzahl von Heimatfilmen auch Schwarzwaldmädel mit der Ostberliner Soubrette Sonja Ziemann drehte — geht es ganz programmatisch um das Überwinden von Schwierigkeiten des täglichen Einerlei. Ein Ehepaar darf keines sein, weil es kein Bett dazu im zerstörten Berlin findet. Doch das Ganze wird nicht zur Tragödie, sondern bleibt, immer nett erzählt, optimistisch und angenehm alltäglich.

In 1-2-3-Corona, einer Geschichte um zwei junge Schwarzmarkthändler und eine junge Artistin in der Regie von Hans Müller, taucht, trotz netter Menschen, das Motiv der Liebe noch nicht einmal auf. Auch hier dominiert die Freundschaft vor eventuellen Rivalitäten. Gemeinsam gelangen die mittlerweile als Trio arbeitenden Jugendlichen zu Berühmtheit. Lediglich Gerhard Lamprecht gewinnt die Freundschaft in Irgendwo in Berlin neben seiner sentimentalen und gemeinnützigen Seite auch eine tiefergehende menschliche ab. Ein seelisch zerstörter Heimkehrer gewinnt durch die Hilfe zweier Trümmerjungs seinen Lebensmut zurück und baut sich seine Garage erneut auf. Während in den anderen Filmen — getreu der unterhaltenden Maxime — der Hintergrund oftmals retuschiert wird und nur selten das fürchterliche Ausmaß der Zerstörung ins Bild gerät, plazierte Lamprecht seinen Film mitten in die Morbidität der Ruinen hinein. Dieses dichte Stimmungsgemälde verschafft dem Film einen ganz eigentümlichen Reiz, der durch die Schauspielerleistungen noch unterstützt wird. Volker Handloik

Frühe Jahre — damals in Berlin · Von den Anfängen der DEFA I . Filmreihe im Babylon, Rosa- Luxemburg-Platz, bis 10. April, Termine siehe Tagesprogramm.

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