Wenn das Frauenhaus zur Falle wird

■ Nach meist jahrelanger Mißhandlung müssen sich Frauen auch noch der qualvollen Enge überfüllter Frauenhäuser aussetzen/ Männer dürfen meist in der gemeinsamen Wohnung bleiben/ Frauen fordern Gesetz, das ihnen die Wohnung zuspricht

Berlin. Mit der Dunkelheit kommt auch die Angst. Ein halbes Jahr ist es her, seit Irma mit ihren beiden Kindern die eheliche Wohnung verließ, weil sie sich von ihrem Mann nicht zu Tode prügeln lassen wollte. Zuflucht fand sie im 2. autonomen Frauenhaus — doch zur Ruhe gekommen ist Irma nicht. Nacht für Nacht quält sich die 34jährige Frau mit der Frage, wo sie Wohnung und Arbeit finden kann. Perspektiven kann Irma bei der derzeitigen Lage auf dem Stellen- und Wohnungsmarkt für sich kaum entdecken. Auch bei Tage findet sich keine ruhige Minute zur nüchternen Betrachtung ihrer Lage: Eine Horde von über fünfzig Kindern tobt lärmend durchs Haus, Irma teilt sich mit sechs Frauen ein winziges Zimmer, einen Platz, wo frau sich zurückziehen kann, gibt es nicht.

Mit rund hundert Frauen und Kindern ist das für 70 Personen gedachte 2. autonome Frauenhaus hoffnungslos überfüllt — und das seit Monaten. »Ständig gibt es Streit, weil für so viele Leute nur zwei Küchen da sind«, erzählt Irma. Zwar brauchen die Frauen für ihren Aufenthalt nichts bezahlen, müssen jedoch bestimmte Arbeiten verrichten: Telefondienst, Nachtwache, Putzen. »Kämpf mal gegen den Dreck von hundert Frauen an«, seufzt Irma — Aggressionen bleiben nicht aus. Die Frauen sind hoffnungslos überfordert. Dabei hätten sie schon genug damit zu tun, die erfahrenen Schläge und seelischen Grausamkeiten zu verarbeiten. Als persönliche Beraterin steht ihnen jeweils eine der 16 Frauenhaus-Mitarbeiterinnen zur Seite — doch auch deren Zeit wird zunehmend knapp. »Wir sind in einer Schicht höchstens zu zweit«, erzählt die Psychologin Eva Berger, »wenn ich gerade ein Beratungsgespräch habe und sich draußen ein Kind beim Spielen verletzt, muß ich unterbrechen — auch wenn die Frau gerade heult.« Dann wieder klingelt das Telefon, der Handwerker will gerade jetzt die Waschmaschine reparieren und im Wartezimmer sitzen vier Frauen, die um Aufnahme bitten.

Doch das Prinzip, keine mißhandelte Frau abzuweisen, können und wollen die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses seit letzter Woche nicht mehr aufrechterhalten. »Wir haben es satt, weiterhin als Alibi benutzt zu werden«, erklärt Diplompädagogin Christine Paul. Seit der Gründung 1979 sei das Frauenhaus zu einer Institution geworden, in die von ihren Männern gequälte Frauen mit ihren Kindern geschickt werden können — an der Gewalttätigkeit der Männer jedoch wurde dadurch nichts verändert. Noch immer müssen Frauen per Attest nachweisen, daß sie geschlagen worden sind. Sie müssen sich der qualvollen Enge im Frauenhaus aussetzen, während der »Göttergatte« die gemeinsame Wohnung behalten darf. Aus Furcht, entführt zu werden, können die Kinder nicht mehr in ihrer alten Kita bleiben — doch woanders ist kein Platz. Also müssen die Frauen selbst ihre Nachkommen betreuen — und verlieren unweigerlich ihren Arbeitsplatz.

»Die Männer dagegen werden gesellschaftlich nicht sankioniert«, meint Irma bitter, »sie kriegen im Gegenteil das Gefühl, alles machen zu können, was sie wollen.« Nicht selten sind Gerichtsentscheide, in denen der Mann die gemeinsame Wohnung zugesprochen bekommt — weil er sonst »nirgends hin kann«. Eine Entscheidung, die bei den betroffenen Frauen und Mitarbeiterinnen des Frauenhauses helle Empörung auslöst. Sie fordern die schnelle richterliche Zuweisung der gemeinsamen Wohnung an die mißhandelten Frauen einschließlich der strafrechtlichen Anerkennung einer Bannmeile, die, wie beispielsweise in Holland üblich, den Mißhandlern bei Strafandrohung untersagt, auch nur in fünf Kilometer Nähe der Wohnung aufzutauchen. Eine entsprechende Gesetzesinitiative ist bei der Senatsfrauenverwaltung laut Staatssekretärin Helga Korthaase bereits in Arbeit — daß sie sich auch durchsetzt, wollen die Frauen jedoch noch nicht glauben. Deshalb brachten sie ihre Forderungen nach Wohnraum für Frauen jetzt selber zu Papier und gestern in die Frauenverwaltung, nebst Einladung an Senatorin Christine Bergmann, sich persönlich von der unhaltbaren Situation im Frauenhaus zu überzeugen. Denn viele könnten sich längst ein neues Leben aufbauen — wenn sie eine Wohnung fänden. Irma schien zunächst Glück zu haben: Ihre Anwältin einigte sich mit Irmas Mann, daß er die Vier-Zimmer-Wohnung verläßt und sie mit ihren beiden Kindern dorthin zurückkehren kann. »Zwei Tage ging es gut — dann trat er mir die Tür ein.« Jetzt ist sie wieder im Frauenhaus. Martina Habersetzer