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Unsortierter Erinnerungsmüll

■ „Joseph Goebbels“, So., 7.4., ARD, 22.30 Uhr

Eine alte Frau sitzt im Ohrensessel und erinnert sich. Sie erzählt von den Jahren ihres Erfolges als Schauspielerin, zunächst in ihrer tschechischen Heimat, dann in Berlin, wo sie bald zum Star in ungezählten Ufa- Filmen aufsteigt. Lida Baarova kann erzählen, und man hört ihr gerne zu, denn noch immer ist ihre Stimme, ihre Haltung, ihre Mimik darauf angelegt, ein großes Publikum zu fesseln und ihm zu gefallen. Sie spricht über sich, aber vor allem spricht sie von ihm, von einer Liaison, die bald zur ersten großen Liebe wachsen sollte — und zur ersten Enttäuschung ihres Lebens.

„Oral History“ nennt sich eine solche Darstellungsform, gelebte, nacherzählte Geschichte, eine Biographie, die etwas aussagt über die Zeit und über das Denken der Menschen jenseits der Faktizität historischer Quellen. Im Idealfall erreichen Filmautoren wie Bernhard Fechner jene fragile Balance, die sowohl die Langeweile herkömmlicher Geschichtsberichterstattung aufhebt als auch die Gefahr der Verharmlosung geschichtlicher Vorgänge vermeidet. Diese gerade bei nationalsozialistischen Themen latent vorhandene Grundtendenz, durch sympathisches und verständnisvolles Erzählen an die Grenze der Relativierung zu stoßen, ist nie ganz auszuschließen. Sie läßt sich nur durch ein enges Gespinst aus hartnäckigen Fragen, verschiedenen Blickwinkeln und verschachtelten Montagetechniken aufheben.

In diesem Film ist nichts davon gelungen. Ob es daran liegt, daß neben den beiden Autoren Werner Koch und Günter Krause noch zwei weitere Interviewer im Abspann genannt sind? Die Vielzahl der Beteiligten könnte die Konzeptionslosigkeit erklären, die sich vor allem in dem allzu fahrigen Interview niederschlägt. Lida Baarova hat freie Hand, und sie beginnt sehr bald ins Ausschmückende abzuschweifen, verliebt in die vielen Details ihrer Affäre. Das wäre nicht weiter schlimm, aber ihr Angebeteter ist nicht irgendwer: Lida Baarova war die Geliebte von Joseph Goebbels. Damit bleibt die Unkonzentriertheit dieses Films nicht mehr nur eine entschuldbare Fahrlässigkeit, sondern birgt eine grobe Verletzung journalistischer Verantwortung. Der Ufa-Star und der Propagandaminister, eine Titelgeschichte für die Regenbogenpresse, und genauso wird sie erzählt. Lida Baarova schildert ihren Goebbels als noblen Kavalier, der sich „tadellos benommen“ hat und zu ihr immer „furchtbar nett“ war. Wenn es tatsächlich stimmen sollte, daß die Schauspielerin damals zu jung, zu naiv und zu unpolitisch gewesen ist, um zu begreifen, mit wem sie sich eingelassen hat, wie sie immer wieder betont, dann ist sie als Zeitzeugin untauglich. Es macht keinen Sinn, jemandem etwas über die Verstrickung in Macht, Gewalt und Größenwahn entlocken zu wollen, wenn er nicht weiß oder nicht wissen will. Dann aber den unsortierten Erinnerungsmüll zu senden, mag als Service für 'Neue Blatt‘-Leser taugen, nicht aber für eine halbwegs seriös gemeinte Fernsehsendung. Christof Boy

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