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Zur Ruhe gekommen

■ „Slingerland“ — William Forsythes neues Ballett zur Wiedereröffnung der Frankfurter Oper

Frankfurt hat wieder eine Oper. Bühnentechnisch vom Feinsten. Eine Riesenoper, die auferstand aus den Flammen eines Biedermann-Brandstifters. Sie hatte bis zuletzt dem Feuer standzuhalten. Noch kurz vor der Eröffnung schwelte ein Kabelbrand mahnend im technischen Detail. Ein echter Opernphönix — so etwas wird nicht nur einmal eröffnet, nicht zweimal, es wird dreimal eröffnet: Hans Werner Henze komponierte La Selva Incatata (Die verwunschene Wildnis) als Widmung an Interimsintendant Hans-Peter Doll. Mit der Zauberflöte erscholl Mozart am Abend, wie schon 1793 an gleicher Stelle. Diese Eröffnung endete im zeternden Buh des Publikums. Das Ballett schließlich: Mit ihm erhielt das Haus seine eigentliche Weihe. William Forsythes Slingerland als Höhepunkt des Eröffnungsmarathons, geprägt von technischen Schwierigkeiten mit der neuen Maschinerie: einer Apparatur, wie es Martin Steinhoff beschwichtigend vor dem Vorhang nannte, die den Widerspruch von Kunstanspruch und Sicherheitsdenken nicht mehr aushält. Das Ding ist zu perfekt.

Forsythe hat es in Frankfurt als einziger geschafft, die mangels Räumen schwierige Zeit unbeschadet durchzustehen. Bertini, der — bei Spitzengagen — die darniederliegende Oper inszenatorisch mit Provinzpossen füllte, bleibt ein unverziehener Skandal. Dem Ende der Ära Rühle am Schauspiel (in dessen Haus zwischenzeitlich die Oper zog) folgten gut besuchte Inszenierungen ohne jeden Belang. Nur dem Ballett blieb kontinuierlicher Weltruf vergönnt — aber auch hier war erst ein Ankerwurf gen Paris nötig: Dort, im ThéÛtre ChÛtelet, hatte Slingerland im vergangenen Oktober seine erste Premiere. Es war noch die Premiere der vollständigen Fassung, die schon im November 1989 als ein zwanzigminütiger Essay in Frankfurt zu sehen war. Wie das so ist bei Forsythe. Premieren mit dem permanenten Stellenwert des Vorläufigen. So verwundert es nicht: In Paris schon versprach Ballett-Co-Intendant Steinhoff, die eigentlichste aller Premieren würde, nach Amsterdam, erst in Frankfurt zu sehen sein: Heuer. Hier. Vorläufig war es in der Tat die letzte unter dem Titel Slingerland.

So etwas nutzt ab. Premieren wie diese wirken beinahe als Dernieren. Forsythes grandiose Idee — kahle Köpfe schauen aus dem Bühnenboden wie luftschnappende Schwimmer, darüber auf der Bühne tanzen Elfen um ein godothaftes Pärchen unter am Himmel baumelnden Steinen in Wolkenform, und die Elfen stecken ihre Köpfchen selbst in den Boden — solche Bildkraft ist nicht beliebig erneuerbar. Sie wurde vielmehr zertanzt in eine Tristesse, von der ein ganzer Abend sich nicht losreißen würde. Die vormalige Kraft entstammte einem Haufen von Querverweisen, anachronistischen Büh

Forsythes einst hochgerühmter analytischer Verstand kam bei träger Melodie kaum noch zum Vorschein

nenprospekte, Computerandeutungen. Diesmal ist alles klar — aber keine Auflösung des ursprünglich ertanzten Rätsels: Eine Filmprojektion zeigt Blinde und Lahme auf der Straße. Lahm und blind starren die Köpfe aus den Löchern im Bühnenboden. Alles paßt zusammen — und berührt nicht mehr.

Was Forsythes Qualität ausmacht, war die permanente Simultanität der Bühnenereignisse. Man wußte nicht, wohin zuerst schauen. Alles geschah zugleich, und alles ergab nie einen deutbaren Sinn. Dafür wimmelte es von Ironie und Angedeutetem. Dem Auge war's ein Spielplatz. Diesmal nur ein Heldengedenktag. Wieder und wieder kommen Krähenfüße ins Bild, Todeskrallen, dazwischen Anspielungen von Piraterie und Steinewerfern. Nur eingeschoben, um den Fortgang finster und trübsinnig im Riesenraum wie wagnerianisch hindümpeln zu lassen, kalt, wie steinern. Der Forsythe-Fanclub mag sich trotz ordentlichen Applauses Gedanken gemacht haben um das Gemüt des Verehrten. Der spielt nur noch hoch und runter, auf und ab — die Bühne in der Vertikale:

Forsythes einst hochgerühmt analytischer Verstand, was das Ballett betrifft, kam bei träger Melodie kaum noch zum Vorschein: Zur graziösen Überwindung der Schwerkraft im Ballett werden zweimal zwei Tänzer emporgehoben: per Seilzug (die auf Sicherheit bedachte Bühnenmaschinerie weigerte sich zunächst, Menschen zu hieven). Die Tänzer schaukeln erstarrt zwischen Himmel und Erde.

Aus Bodenlöchern schauen Gesichter wie ertrunken, am Himmel kleben zur Ruhe gekommene Ballerinen am Seilzug. Der Witz der Groteske ist so fast verloschen. Forsythe deucht melancholisch, kaum mehr analytisch, kaum mehr witzig. Still ist sie nun, seine fast einstig zu nennende Ballettrevolution.

Slingerland, Ballett von William Forsythe, Musik von Gavin Bryars und Thom Willems. Oper der Stadt Frankfurt am Main.

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