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Szenen einer Hochzeitsfeier

■ Judith Herzbergs Stück „Leas Hochzeit“ in Wien

Siegfried E. Mayer hat der flachen Bühne des Josefstädter Theaters mit einigem Geschick den Eindruck von Tiefe abgewonnen: Im Hintergrund, durch aufklappbare Glastüren abgetrennt, ist das Buffet für das Hochzeitsfest zu sehen; der Raum davor — ein für gewisse Szenen auch als Salon genutztes Vorzimmer — ist durch seitlich hereinragende Wandvorlagen in zwei Bereiche gegliedert. Hier treffen die Gäste der in der Wohnung der Brauteltern stattfindenden Feier ein, von hier aus können sie sich in alle Richtungen zerstreuen beziehungsweise in wechselnden Konstellationen wieder zusammenfinden.

Eine Ein- und Ausgangssituation also, wie geschaffen für Gespräche, die einiges andeuten und nichts ausdiskutieren, für zufällige Begegnungen und beabsichtigte Zusammenstöße. Ein Raum mit zahlreichen Türen, in dem Störungen komödiantischer Art für den Zuschauer willkommen und voraussehbar sind.

Doch in dem Stück der 56jährigen Niederländerin Judith Herzberg werden nicht die Beziehungen durcheinandergewirbelt, damit am Schluß alles beim alten bleiben kann, sondern Familienverhältnisse aufgedeckt, die derart von der jüngeren privaten und der in die Besatzungszeit der Nationalsozialisten zurückreichenden Vergangenheit belastet sind, daß die Oberfläche dieser scheinbaren Salonkomödie sich bald als brüchig erweist. Die Beziehungen sind nicht verwirrend, sondern — auch für die Beteiligten selbst — kompliziert.

Lea, von Beruf Geigerin, und ihr Bräutigam, der Arzt Nico, waren beide bereits einmal verheiratet. Daß ihre früheren Ehepartner anwesend sind, ist Ausdruck eines liberaleren Umgangs mit Beziehungsangelegenheiten, als es der aufgeklärten Bürgerlichkeit der Eltern eigentlich lieb ist — wenngleich sich diese durch den Partnerwechsel ihrer Kinder mehr in ihren Gewohnheiten als in ihren moralischen Überzeugungen irritiert fühlen. Bei einer kleinen Ansprache verwechselt der Brautvater die Namen seiner beiden Schwiegersöhne nicht aus Ignoranz, sondern weil er sich mit den neuen Gegebenheiten erst zurechtfinden muß.

Die Ehe- und Ex-Eheleute hingegen müssen erkennen, daß ihre lockere Einstellung nicht immer über Verletzlichkeiten und gemischte Gefühle hinwegtäuschen kann. Adelheid Picha spielt Nicos erste, in einen blauen Faltenrock gekleidete Frau Dory als Gymnasiastinnentyp mit einem Ansatz zum Matronenhaften, der eine spontane Geste gegenüber Lea einfach nicht gelingen will. Lea wiederum ist sich der Konkurrenzsituation mit der im selben Beruf erfolgreicher tätigen Dory ebenso bewußt wie der im Lauf der Feier aufkeimenden Einsicht, daß sie Nico nicht jene Geborgenheit wird vermitteln können, die Dory gewissermaßen ausstrahlt.

Rainer Friedrichsen zeigt Leas ersten Mann als Randfigur, die er in dieser Vierer-Konstellation auch tatsächlich darstellt. Von Beruf Fotograf kann er sich zu diesem Anlaß gleich nützlich und ein wenig wichtig machen. Daß die Beziehung mit Lea gescheitert ist, ist sein Problem, nicht ihres.

Judith Herzbergs jetzt in Österreich erstaufgeführtes Stück Leas Hochzeit ist wie ein Mosaik, das sich nicht zu einem geschlossenen Bild zusammensetzen will. In vielen kurzen Szenen treffen immer andere Familienmitglieder aufeinander: Kaum bricht das Eis der beiläufigen Konversation, dringen Splitter der Vergangenheit hervor; sie bricht nicht über die Figuren mit großem dramatischen Getöse herein, vielmehr untergräbt sie leise das Vertrauen der Personen zueinander. Könnte man Herzberg vorwerfen, ihr Stück mit zu vielen Problemstellungen beladen zu haben, muß man aber auch konstatieren, wie behutsam sie die vielfältigen Motive anklingen läßt und miteinander verknüpft, ohne sie wie in einem Lebensratgeber einer Lösung zuzuführen.

Regisseur Harald Clemen läßt bei jeder Szene die Einheitsbühne anders ausleuchten und verwischt so den Eindruck einer strengen und logischen Chronologie. Zeit und Raum bekommen etwas Imaginäres, wobei sich die Schwere der Probleme und die Leichtigkeit der Form nicht desavouieren, sondern durchdringen.

Die Schwierigkeit von Leas Hochzeit besteht ja in der Verknüpfung von Privatem und Politischem, von unmittelbar Vergangenem und einer weiter zurückliegenden Vergangenheit, die akut und gegenwärtig werden kann. Leas Eltern sind Juden, die während der Naziokkupationszeit in einem Lager interniert waren. Um ihre Tochter nicht ins Konzentrationslager mitnehmen zu müssen, wurde sie unter falschem Namen bei einer sogenannten Kriegsmutter untergebracht, die es nie verwunden hat, daß sie Lea nach Ende des Krieges wieder an die heimgekehrten Eltern zurückgeben mußte. Dies führt fast unausweichlich zu Spannungen zwischen den drei Frauen.

Für Leas Mutter wird die Vergangenheit nicht nur präsent, wenn sie auf die Leas Dankbarkeit erwartende Kriegsmutter trifft oder von einer als Serviermädchen engagierten Studentin gefragt wird, ob sie als Überlebende des Holocaust nicht Schuldgefühle den Toten gegenüber habe. Sie wird von dieser Vergangenheit auch in Form von Tagträumen heimgesucht. Da sie mit immer weniger zurechtkommt, will sie am Tag nach der Hochzeit für einige Zeit in eine Klinik gehen. Eine psychiatrische Behandlung wiederum ist für ihren Mann eine unerträgliche Vorstellung: Er droht ihr an, sie zu verlassen, bevor er zuläßt, daß sich ein Dritter, auch in Gestalt eines Arztes, in ihre Beziehung einmischt. Dazwischen steht Lea, zerrissen, ihren Vater zwar nicht verstehend, aber um den Preis der Hochzeitsreise und sogar ihrer Beziehung zu Nico bereit, zu Hause zu bleiben, um die Trennung ihrer Eltern zu verhindern.

Einprägsam wurde das Diktum aus Chris Markers Film Sans Soleil, daß die Zeit die Wunden nicht heilt, in diesen Szenen bestätigt. Und auch die Schauspieler des Theaters in der Josefstadt — ansonsten der leichten Muse allzusehr verpflichtet — zeigten diesmal eine bleischwere Leichtigkeit, die Judith Herzbergs Stück durchaus angemessen ist. Dieter Bandhauer

Judith Herzberg: Leas Hochzeit. Regie: Harald Clemen. Bühne: Siegfried E. Mayer. Mit Marianne Nentwich, August Zirner, Adelheid Picha, Rainer Friedrichsen. Theater in der Josefstadt, Wien.

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