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Vereinigung wie in einem Versuchslabor

■ Die Wochenzeitungen 'Sonntag‘ und 'Volkszeitung‘ proben mit ihrem Unternehmen 'Freitag‘ das Gegenteil der deutschen Vereinigung/ Die absolute Parität sorgt in der Redaktion bisher für Harmonie, ohne alle Unterschiede auszuräumen

Kreuzberg. »Soll ich dich siezen oder darf ich Sie duzen?« — Diese kleine Hürde war die komplizierteste und zugleich charmanteste im deutsch-deutschen Annäherungsversuch der Zeitungsmacher aus Ost und aus West des 'Freitag‘-Projektes. Denn die Ostler siezen sich höflich mit etwas kleinbürgerlicher Beharrlichkeit. Man hatte sich damit einst vom unsäglichen Partei- und FDJ-»Du« abheben wollen. Die Westlinken dagegen, die bürgerliches Verhalten längst überwunden haben, sind mit allen per »Du«. Und so geschieht es noch ein halbes Jahr nach der Zeitungsvereinigung, daß ein duzender Westler vom Ost-Kollegen gesiezt wird. »Ein bißchen konfus«, meint auch Regina General, ehemalige amtierende Chefin des 'Sonntag‘, aber »das baut sich langsam ab«.

Als sich die Wochenzeitungen 'Sonntag‘ und 'Volkszeitung‘ zu dem gemeinsamen Unternehmen 'Freitag‘ entschlossen, sollte es ein einzigartiges Produkt in der deutschen Presselandschaft werden. So wollten die Journalisten im Zuge der deutsch-deutschen Vereinigung das »genaue Gegenteil« absolvieren und präsentierten zum 9. November ein Produkt »unter dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung und Wahrung der Identität beider Partner«.

Der ehemalige 'Volkszeitungs‘- Kulturredakteur Stefan Reinicke nennt es das Pari-pari-Prinzip, das man exemplarisch im Kreuzberger Hinterhof in der ElefantenPress-Galerie vorgeführt bekommt. 15 Journalisten teilen sich hier die Räume unterm Dach, jeweils sieben aus Ost und West. Der 15. ist ein unparteiischer Mitarbeiter aus der CSFR. Auch in den einzelnen Ressorts achtete man streng auf Quotierung. Sogar finanziell war keine Seite auf die Barmherzigkeit der anderen angewiesen. Beide steuerten jeweils 1,3 Millionen DM zum Projekt bei.

Also in diesem Fall keine, wie es die Psychologen diagnostizierten, lädierte deutsch-deutsche Beziehungskiste, in der die scheinbar so selbstbewußten Westler und die angeblich so zaghaften und depressiven Ostler ein ungleiches Paar bilden. Kein Wunder, betrachtet man die Bedingungen des Zusammenwachsens in der Redaktion, die im gesamtdeutschen Prozeß eher einem Versuchslabor gleichen als der rauhen Wirklichkeit. Die Ostler sahen gar keinen Grund, sich zurückzuhalten. Sie fühlten sich als die Profis, wenn sie sich mit der »schlecht aufgemachten« 'Volkszeitung‘ verglichen. 'Sonntag‘-Filmkritikerin Jutta Voigt hatte absolute Vorurteile. Die Volkszeitung hätte sie nie freiwillig gekauft. Damals dachte sie, wie man im 'Freitag‘ nachlesen konnte, »jetzt kommt der ganze DKP-Mief auf uns zu«. Gerade in dieser Frage spürten dagegen die Westler großes Unverständnis für ihre (Zeitungs-)Geschichte bei den Ostlern.

Nach der Arbeit an einer gemeinsamen Literaturbeilage habe sich die Idee, so Reinicke, ergeben, und die Vorurteile verloren an Schärfe. Verluste bei den Lesern mußte der 'Freitag‘ dabei kaum hinnehmen. Mit 40.000 verkauften Exemplaren bleibt man ungefähr auf dem alten Stand und schreibt nicht einmal rote Zahlen, behaupten Ost- und WestkollegInnen. Allerdings »bröckelt jetzt die dogmatische Linke weg, die den 'Sonntag‘ als Widerstandsblatt verstanden hat«, meint Regina General. Einigen Westlinken, weiß Stefan Reinicke, sei der 'Freitag‘ jetzt zu flau.

Ganz verloren haben sich die Unterschiede der Ost- und West-Sozialisierten dennoch nicht. Die einen verdienen mehr Geld (3.500 für Westler, 3.000 für Ostler) und machen mehr Politik im Blatt. Die anderen liest man eher auf den Kulturseiten und hört man weniger in Redaktionssitzungen. Das Darstellungsbedürfnis der Westler und die endlosen Debatten haben so manchen Ostler genervt. Umgekehrt schienen Themen, die die Ostler bewegten, so General, der Westseite als »abgegessen«. Auch Reinecke meint, er habe seine Schwierigkeiten, den Ostlern zu vermitteln warum ein Thema interessant sei. Bisher habe das Konsensprinzip gegolten und verprellt wurde dabei anscheinend niemand. »Aber«, stellt Reinecke fest, »der Tonfall im Blatt ist inzwischen schärfer geworden.« anbau

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