: Tresorfilme aus der CSFR und Jugoslawien
■ Zu den diesjährigen Grenzland-Filmtagen in Selb
Vor 15 Jahren begann es mit Alternativ-Kinoabenden mit Schlöndorff-Filmen im Jugendzentrum des oberfränkischen Wunsiedel; heute gehören sie zu den angesehenen Kleinfestivals mit Niveau: die „Grenzland-Filmtage“, mittlerweile im benachbarten Selb. Die nur ehrenamtlich organisierten, nichtkommerziellen Filmtage, die bewußt auf eine Filmpreisvergabe verzichten, haben sich schnell zum Mekka für den osteuropäischen Film herauskristallisiert. Die geographische Lage des 18.000-Einwohner- Ortes unmittelbar an der tschechischen Grenze und bis vor gar nicht so langer Zeit auch nahe der DDR- Grenze haben dem Minifestival zu seinem Namen und seiner inhaltlichen Ausrichtung verholfen.
Auch in diesem Jahr zählten die Veranstalter an vier Tagen 4.500 Besucher aus ganz Europa. Gezeigt wurden über 80 Produktionen, meist neueren Datums, und neben den programm- und zeitfüllenden Spielfilmen besonders auch Trickfilme (aus Dresden), Animationsfilme (aus Wien), Kurz-, Dokumentations- und Kinderfilme.
Besondere Beachtung galt diesmal dem Filmland CSFR, eine Werkschau stellt hier noch unbekannte Filme von Karel Kachyna vor, der seit 1950 als Regisseur tätig ist. Der heute 66jährige kam aus dem Genre Dokumentarfilm und mußte seine daraus begründete Realitätsnähe auch mit Filmverboten bezahlen. In Selb war so zum Beispiel der 1969 entstandene Film Das Ohr zu sehen, dessen offene Totalitarismuskritik eine Aufführung 20 Jahre lang unmöglich machte.
Im Mittelpunkt der Grenzland- Filmtage stand die internationale Erstaufführung von Wächter des Nebels, dem zweiten Spielfilm des 1949 geborenen Isa Qosja. Bereits 1988 wurde die Produktion fertiggestellt, doch zensurfrei ist sie erst heute in Kroatien und Slowenien zu sehen. In Serbien muß Qosja immer noch befürchten, dafür ins Gefängnis zu kommen. Bereits vor drei Jahren hatten die Organisatoren in Selb den in der Republik Kosovo lebenden Albaner eingeladen, doch ein Ausreiseverbot verhinderte sein Kommen. Vor einem Jahr war Qosja mit der Kamera auch beim Bergarbeiterstreik in Kosovo und wurde anschließend zu „informellen Gesprächen“ mit der Geheimpolizei zwei Tage hinter Gitter gehalten.
Nichts anderes zeigt Wächter des Nebels. Es ist die Geschichte der Unterdrückung der albanischen Bevölkerungsmehrheit durch den serbischen Restriktionsapparat von Polizei und Geheimdienst. Einfache Bürger, aber speziell kritische Intellektuelle bekommen Berufsverbot, verschwinden in Gefängnissen, werden gefoltert. Das war von 1950 bis 1968 der Fall und jetzt wieder seit 1981. Im Film flüchtet sich der so geknebelte Schriftsteller albanischer Abstammung Dinore in eine Traumwelt, die ihm ein Weiterleben überhaupt noch möglich macht. Seine Ängste verwandeln sich aber mit der Zeit immer mehr zu Alpträumen, von denen manche plötzlich bittere Realität werden. In der Schlußszene wird die Feder des Schriftstellers bildlich zur Waffe gegen seine Peiniger, also zu dem, was der Staatsapparat ihm eigentlich schon immer vorgeworfen hat.
Der Film arbeitet mit vielen Symbolen und Metaphern, die für Nicht- Albaner und Nicht-Serben oft schwer verständlich sind.
1988 war das Drehen und die Filmherstellung für Qosja noch möglich, heute ist die einzige Produktionsstätte Serbiens, „Kosova-Film“, von serbischen Armeevertretern besetzt.
Begleitend zum Filmprogramm fand übrigens ein internationales Filmklub-Treffen mit Gästen aus Polen und der CSFR statt sowie ein Seminar mit Film und Diskussion zum Thema Neofaschismus anläßlich der sich jährlich wiederholenden Nazi- Aufmärsche im August zu Rudolf Heß' Todestag in Wunsiedel.
Besonders freuen sich die MacherInnen der Grenzland-Filmtage, daß sie erstmals eine Einladung zur Teilnahme an den Filmfestspielen in Prag und eine Einladung vom Filmklub Pardubice (CSFR) vom 12. bis 14. April erhalten haben. Dieter Hanisch
Die Grenzland-Filmtage 1992 finden vom 23. bis 26. April statt. Hinweis: Verleih von Wächter des Nebels ist möglich über Reinhold T. Schöffel, Schubertstr. 15, 6892 Neu-Anspach, Tel. 06081-43285.
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