: Wie Strauß Kohl foppte
■ Schalck-Dokumente belegen Schlüsselrolle von Strauß Beide waren bestrebt, das Kanzleramt zu umgehen
Hamburg (dpa) — Franz Josef Strauß hat in den ersten Jahren der Regierung Kohl/Genscher nach Darstellung der 'Zeit‘ seine Politik mit SED-Chef Honecker wesentlich stärker hinter dem Rücken von Kanzler Kohl eingefädelt als bislang bekannt war. Der Wochenzeitung liegen nach eigenen Angaben rund 10.000 Seiten Aufzeichnungen und Dokumente des DDR-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowskis vor. Schalck berichtet in seinen Aufzeichnungen, er habe Anfang 1983 Verbindung zu Strauß aufgenommen, um die Möglichkeit eines Milliardenkredits zu sondieren. Zuvor sei der Versuch der DDR, mit der Bundesrepublik eine Finanzierungsgesellschaft zur Linderung der DDR-Devisenknappheit zu gründen, am Widerstand von Bundeskanzler Helmut Kohl gescheitert, der auf politische Zugeständnisse der DDR bestanden hatte.
Strauß habe Verständnis dafür gezeigt, daß SED-Chef Erich Honecker keine formelle Verknüpfung zwischen dem Kredit und der Gewährung menschlicher Erleichterungen im Reiseverkehr zwischen beiden deutschen Staaten herstellen wolle. Er habe vorgeschlagen, Honecker solle zu einer Zeit, die er für angemessen halte, entsprechende Gegenleistungen erbringen, ohne daß es dazu schriftliche Vereinbarungen gebe.
Die Verhandlungen zwischen Schalck-Golodkowski und Strauß seien im Juni 1983 auf eine „offizielle Ebene“ gehoben worden, als der damalige Staatsminister im Bundeskanzleramt, Philipp Jenninger, hinzugezogen wurde. Die entscheidenden Gespräche hätten aber weiterhin der CSU-Chef und Schalck-Golodkowski geführt. So sei in beinahe täglichen Telefonaten gemeinsam überlegt worden, wie das über die Klippen bürokratischer Widerstände in Bonn hinweggebracht werden könnte.
Als Jenninger beispielsweise unter Umgehung von Strauß an Schalck mit der Bitte herantrat, Kohl würde es wegen der Bedeutung des Milliardenkredits „als positiv empfinden“, wenn er in einem Telefonat mit Erich Honecker erfahre, was Strauß als Gegenleistung übermittelt worden sei, habe Schalck umgehend Strauß unterrichtet. Nach Rücksprache mit Strauß habe Schalck Jenninger knapp mitgeteilt, dem Wunsch Kohls könne nicht entsprochen werden. Ähnlich versandete wenig später der Versuch Jenningers, mit einer gemeinsamen Sprachregelung doch noch einen Zusammenhang zwischen dem Kreditgeschäft und den politischen Gegenleistungen herzustellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen