Gewalt in Südafrika lähmt den ANC

■ Die Unfähigkeit des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), in Kontakten mit der weißen Regierung oder in Gesprächen mit der Zulu-Partei Inkatha der eskalierenden Gewalt ein Ende zu machen, kostet die...

Gewalt in Südafrika lähmt den ANC Die Unfähigkeit des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), in Kontakten mit der weißen Regierung oder in Gesprächen mit der Zulu-Partei Inkatha der eskalierenden Gewalt ein Ende zu machen, kostet die Organisation die Glaubwürdigkeit bei der eigenen Basis.

Nelson Mandela deutet gegenüber der südafrikanischen Regierung Flexibilität an. Nachdem der ANC Ende letzter Woche ultimativ den Rücktritt des Polizei- und des Verteidigungsministers gefordert hatte, sagte der ANC-Vize nun: „Wenn die Regierung vernünftig auf unsere vernünftigen Forderungen reagiert, werden wir nicht unflexibel sein.“ Er betonte, daß der ANC mit seinen Forderungen, die die Regierung bis zum 9. Mai zu erfüllen hat, auf die Ernsthaftigkeit der politischen Gewaltausbrüche der letzten Monate hinweisen wollte. „Niemand kann bestreiten, daß das gegenseitige Vertrauen der beiden wichtigsten am Verhandlungsprozeß Beteiligten immer weiter abbröckelt“, sagte Mandela. „All unsere Forderungen haben zum Ziel, das Vertrauen in den Friedensprozeß wiederherzustellen.“

Aber der ANC hat sich mit der Forderung nach dem Rücktritt von Polizeiminister Adriaan Vlok und Verteidigungsminister Magnus Malan selbst in die Zwickmühle gebracht. „Der ANC hätte kaum mehr tun können, um die Position von Vlok und Malan abzusichern“, kommentierte ein Diplomat. Und nach einem Gespräch mit Mandela am Dienstag will das diplomatische Corps sich für ein Treffen zwischen Mandela und De Klerk einsetzen, um dem ANC so aus der Zwickmühle zu helfen. Die Diplomaten meinten, daß die Sorge des ANC über das Ausmaß politischer Gewalt gerechtfertigt ist. Die Forderungen des ANC — mit Ausnahme der Rücktrittsforderung — seien durchaus vertretbar, so z.B. das Verbot von Waffen bei öffentlichen Versammlungen; die Suspendierung von Polizisten, die an Massakern von Zivilisten beteiligt waren; die Auflösung von Mordbanden in Militär und Polizei; die unabhängige Untersuchung von Vorwürfen gegen die Sicherheitskräfte und Hintergründe der Gewalt.

Die Sorge über die Gewalt strich Pallo Jordan, Informationsbeauftragter des ANC, gestern noch einmal hervor. „Für uns ist es unverständlich, daß die südafrikanische Presse nach einem Jahr, in dem etwa 2.900 schwarze Bürger umgebracht wurden, und nachdem seit Januar 1991 etwa 600 Tote gemeldet wurden, immer noch nicht zu begreifen scheint, daß wir vor einer tiefen Krise stehen.“ Tatsächlich hat sich die südafrikanische Öffentlichkeit dermaßen an Horrormeldungen aus den Townships gewöhnt, daß ein Raubmord an einer weißen Rentnerin mehr Empörung verursacht als die Ermordung von einem Dutzend Township-Bewohnern.

Die Unfähigkeit des ANC, in Kontakten mit der Regierung oder in Friedensgesprächen mit der Zulu- Partei Inkatha der Gewalt ein Ende zu machen, hat die Organisation ganz erheblich um Unterstützung gebracht. Hinzu kommt von der Basis die Kritik, daß der ANC trotzt wiederholter Absichtserklärungen keine Selbstverteidigungseinheiten etabliert hat, um seine Anhänger im Kämpfen zu schützen. „Das Ultimatum ist ein Zeichen für die Unzufriedenheit, die Unruhe an der Basis der Organisation“, sagte diese Woche Raymond Suttner, Leiter der ANC- Abteilung für politische Bildung.

Gleichzeitig muß der ANC sich auch vorwerfen lassen, durch Ermutigung undifferenzierter Militanz in den letzten Jahren eine politische Intoleranz gefördert zu haben, die jetzt zu vielschichtigen Konflikten führt. Denn obwohl die schwersten Auseinandersetzungen zwischen ANC- und Inkatha-Anhängern stattfinden, haben ANC-Gruppen sich auch mit Mitgliedern anderer Befreiungsorganisationen wie dem Panafrikanistischen Kongreß (PAC) oder der Azanischen Volksorganisation Azapo blutige Kämpfe geliefert.

Es bleibt allerdings deutlich, daß nicht der ANC von der Gewalt profitiert, sondern Inkatha und die Regierung. Inkatha hat sich durch Gewalt und Androhung von Gewalt eine politische Bedeutung erkämpft, die weit über dem von Umfragen festgestellten Zwei-Prozent-Niveau der Unterstützung für die Zulu-Partei liegt. Und daß die Gewalt den ANC schwächt, kann Präsident Frederick De Klerk nur recht sein. Ohnehin nutzt die Regierung ihre Macht in allen Bereichen, um der Konsolidierung des ANC innerhalb Südafrikas Steine in den Weg zu legen.

Ein Beispiel dafür ist der Prozeß der Freilassung von politischen Gefangenen und Rückkehr exilierter SüdafrikanerInnen. Die in einem Abkommen mit dem ANC festgelegten Fristen — Ende 1990 für die Mehrheit, Ende April 1991 für die komplizierteren Fälle — hat die Regierung nicht eingehalten. Stattdessen hat sie ihre Kontrolle der Gefängnisse, der Grenzkontrollen und ihre Möglichkeit, Rückkehrer wegen verschiedener Vergehen anzuklagen, bis zum letzten ausgereizt. So wurden zwei ANC-Rückkehrer, denen Straffreiheit zugesagt worden war, letzte Woche bei ihrer Ankunft am Flughafen festgenommen.

Die ANC-Konferenz vom Dezember hatte der Regierung mit ernsten Konsequenzen gedroht, falls die April-Frist nicht eingehalten würde. Welche Konsequenzen — das blieb allerdings unklar. Und wenn der ANC jetzt droht, sich aus dem Verhandlungsprozeß zurückzuziehen, falls die letzte Woche gestellten Forderungen nicht erfüllt werden, dann glaubt das niemand. Der Handlungsdruck für die Regierung ist gering.

Genau darin liegt die taktische Schwäche des ANC. Wiederholt hat er Entscheidungen getroffen, Ultimata gestellt, ohne sich selbst über die Konsequenzen im klaren zu sein. Es fing vor einem Jahr an mit dem unqualifizierten Lob für die Reformabsichten der Regierung: „De Klerk ist ein Mann von Integrität“. De Klerk erhielt internationale Anerkennung, der internationale Druck auf die Regierung ließ nach. Das führte direkt zu dem Debakel der Sanktionsdebatte bei der ANC-Konferenz im Dezember. Da schlug die ANC-Führung eine Neuüberlegung von Sanktionen vor. Die EG beschloß zeitgleich eine erste Lockerung — und die Basis entschied sich daraufhin für die unnachgiebige Aufrechterhaltung des Drucks.

Ein noch größerer Fehler war die Suspendierung des bewaffneten Kampfes im August. Das sollte, als großzügige Geste, den Verhandlungsprozeß beschleunigen. Genau das Gegenteil ist eingetreten. Unter dem Vorwand des Definitionsbedarfs, was „Suspendierung“ bedeutet, hat die Regierung die Erfüllung ihrer Zusagen verzögert.

Kern des Problems war schon im August die Frage, wie die Sicherheitskräfte zu kontrollieren sind. Statt der Regierung in dieser Frage Konzessionen abzuringen, hat der ANC sein wichtigstes As, den bewaffneten Kampf, verspielt — und sich schwere Kritik von der Basis eingefangen. Und genau die Frage nach der Rolle der Sicherheitskräfte hat zur jüngsten Krise geführt. Denn es kann wohl niemand daran zweifeln, daß der mächtige Sicherheitsapparat des Apartheidsystems in der Lage ist, Gewaltausbrüche wie die der letzten Monate zu verhindern oder zumindest entscheidend zu reduzieren — und die Verantwortlichen dingfest zu machen. Hans Brandt, Johannesburg