: Diskussion um Theaterlandschaft Heute: das Berliner Ensemble
Auch der Leiter des Berliner Ensembles, Manfred Wekwerth, hat wie bereits die gesamte Belegschaft der Freien Volksbühne und die Leitung des Hebbel- Theaters (die taz berichtete) nun das vom Kultursenator in Auftrag gegebene Gutachten zur Berliner Theaterlandschaft kritisiert. Wekwerth bezeichnete das Papier von Ivan Nagel, Henning Rischbieter, Michael Merschmeier und Friedrich Dieckmann als »flüchtiges Dokument«. Der Absatz über das Berliner Ensemble jedoch übertreffe alles, so Wekwerth. Die Gutachter hätten eine Neuformulierung einer Konzeption für das einst von Bertolt Brecht geleitete Haus gefordert. Dabei sei bereits eine neue Konzeption im Brecht-Jahrbuch 1991 abgedruckt. In ihr würden im Gegensatz zu dem Gutachten die »echten Schwierigkeiten im Umgang mit Brecht« heute benannt.
Wörtlich heißt es in dem Gutachten unter dem Stichwort Berliner Ensemble: »...eine der schwierigsten Aufgaben im Berliner Theaterbereich: Die Tradition Brechts fortsetzen — die Führung des Theaters als Familienbetrieb beenden. Das Theater am Schiffbauerdamm ist eine der schönsten Berliner Spielstätten; es läßt sich von der Erinnerung an Brechts große Reform des Theaterspiels in (Ost)berlin und (West)europa nicht trennen. Welcher Intendant kann das Ensemble erneuern, das (nach vielen Abwanderungen) die Oberfläche des ‘Stils‚ beherrscht, aber nicht genug starke Schauspieler versammelt? Und: Welche Ästhetik, welche Dramaturgie erneuert das Brecht-Repertoire selbst, dessen Aufführungen meist über zehn Jahre alt sind?
Ein Lösung im Sinne gründlicher Reform läge auf der Hand. Eine neue Intendanz wäre zu berufen. Mit der Leitung des Hauses könnte einer der abgewanderten Regisseure unter den Brecht-Schülern der ersten oder zweiten Generation betraut werden (Beghaus, Besson, Karge, M. Langhoff, Palitzsch, Tragelehn). Ein heutiger Spielplan in Brechts Sinn: mit Brechts Stücken, mit neuen Lesarten der Klassiker usw.
Die andere Lösung ist unter den Entwicklungsgesetzen europäischer Kunst schwer zu praktizieren. Die wäre: 1) das BE zum Brecht-Museum zu erklären (mit lauter unechten Originalen, denn keine der Inszenierungen stammt aus Brechts Lebzeiten), 2) eine Theaterschule nur für die Methodik des ‘epischen Theaters‚ ihm anzuschließen und 3) das alles als Familienbetrieb, Privattheater, weiterzuführen. Mit Familientruppen, Familienschulen (ja mit einem System der Adoption von Lieblingsschülern) lebt das Noh-Theater in Japan seit 800 Jahren weiter — ein Denkmal für Theaterhistoriker, einheimische Hüter des Alten Glaubens, überseeische Touristen.
Wir sind mehr für die erste Lösung.«
So weit das Gutachten. Intendant Manfred Wekwerth hingegen, Brecht-Schüler und seit 1977 Leiter am Schiffbauerdamm, wies auf die erfolgreiche neue Premiere des Brecht-Stückes Der gute Mensch von Sezuan hin. Die laut Gutachten »zu wenig starken Schauspieler« seien auf einer Tournee in Jerusalem 1989 als »immer noch eine der stärksten Truppen der Welt« gelobt worden. Auch sei das Berliner Ensemble in der zeitgenössischen Dramatik führend. »Das einzig Gute am Gutachten scheint mir, daß die Theater nun das Wort haben. Sie sollten kräftig Gebrauch davon machen«, so der Intendant.
Verhalten äußert sich auch der Verwaltungsdirektor der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Wilfried Peinke. Während das Westgegenstück in der Schaperstraße ganz zum Gastspielhaus umgewidmet werden soll, stellen die Gutachter sich für die Ost-Volksbühne eine »junge Truppe, die ein gesellschaftlich aktuelles Theater« zeigt und in ein bis zwei Jahren »entweder berühmt oder tot ist« vor. So gehe es wohl nicht, meint Peinke mit Hinweis auf die verschwindende Tradition Erwin Piscators. dpa/grr
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