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Kontroverse um Sperrbezirk für Huren

■ Tiergartener CDU- und SPD-Bezirksverordnete fordern wider besseres Wissen Sperrbezirk für Prostituierte/ Auf einer Veranstaltung wurde gestern über die Probleme im Süden von Tiergarten gestritten

Tiergarten. Die Tiergartener Bezirksverordneten von CDU und SPD haben wider besseres Wissen die Einführung eines Sperrbezirkes für Prostituierte beschlossen. Das wurde gestern auf einer Veranstaltung zum Thema »Sperrbezirk für Tiergarten — Chance zum Kindesschutz oder Kriminalisierung« offenbar, an der neben VertreterInnen der Tiergartener SPD, CDU, und AL ein Elternvertreter der Fritzlar-Homberg-Grundschule, eine Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe gegen sexuellen Mißbrauch von Mädchen, »Wildwasser«, sowie Angehörige der Huren-Selbsthilfeorganisationen »Hydra« und »Nutten und Nüttchen« teilnahmen. Wie berichtet, hatten die Tiergartener SPD- und CDU-Verordneten Innensenator Heckelmann Ende Februar aufgefordert, Berlins größten Straßenstrich im Bereich des südlichen Tiergarten zu einer Tabuzone für Prostituierte zu erklären. Eine Entscheidung Heckelmanns liegt noch nicht vor.

Die SPD-Verordnete Renate Koster und der CDU-Vertreter Norbert Bolle erklärten gestern mit frappierender Offenheit, daß sie einen Sperrbezirk für Prostituierte nicht für das geeignete Mittel zur Lösung der Probleme in Süd-Tiergarten halten. Daß der Beschluß trotzdem gefaßt wurde, begründete Bolle damit, der BVV sei in Ermangelung von Alternativen nichts anderes übriggeblieben, als den »Hammer- Beschluß« Sperrbezirk zu fassen.

Die Probleme in dem Kiez benannte gestern der Elternvertreter der Fritzlar-Homberg-Schule, Helmut Schwarzbach: Seit November 1990 wurden vier Schülerinnen und Schüler der Grundschule Opfer sexuellen Mißbrauchs. In allen Fällen war den Kindern auf dem Schulweg aufgelauert worden. Darüber hinaus, so Schwarzbach, würden die Kinder häufig von Fremden angesprochen und begrapscht. »Sie werden gefragt, wo die Nutten stehen, ob sie mal für zehn Mark mit um die Ecke kommen und was sie für eine Unterhose anhaben.« Den Eltern und Lehrern sei natürlich klar, daß die Prostituierten an diesen Vorfällen keine Schuld haben, aber »solche Typen würden durch das Prostitutionsmilieu nun einmal angezogen«. Nachdem die Lehrer und Eltern mehrfach vergebens mehr Polizeipräsenz im Bereich der Schule angefordert hätten, habe man die BVV um Hilfe gebeten. Schwarzbach glaubte zwar auch nicht, daß die Probleme mit einem Sperrbezirk gelöst werden, bekräftigte aber, »daß die Forderung solange aufrecht erhalten wird, bis für den Schutz der Kinder gesorgt ist«. Ab kommendem Jahr wird es laut Schwarzbach in dem Bereich fünf Kitas und drei Grundschulen geben. Daß das Problem wider besseres Wissen auf dem Rücken der Prostituierten ausgetragen werden soll, stieß bei den Vertreterinnen von AL, Hydra, »Nutten und Nüttchen« und »Wildwasser« auf heftige Kritik. Sie wiesen daraufhin, daß jedes vierte Mädchen sexuell mißbraucht wird und 97 Prozent der Mißhandlungen in den Familien begangen werden. Die Probleme im Kiez könnten nur durch Aufklärung und Prävention angegangen werden, hieß es. Das ginge natürlich nicht, wenn auf Kosten der Kindern gespart und Selbsthilfeprojekten der Geldhahn zugedreht werde. Schwarzbachs Hinweis, die Kinder könnten die ständigen Warnungen vor den bösen Männern allmählich nicht mehr hören, wertete eine Sozialarbeiterin aus Charlottenburg als Überprävention. »Das Kind muß lernen, nein zu sagen, nicht nur gegenüber Fremden, sondern, auch wenn es von der Oma nicht schon wieder geknuddelt werden will«, meinte sie. Die Einführung eines Sperrbezirks bedeute nichts anderes, als »die Katze totzuschlagen, wenn der Hund gebissen hat«. plu

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