: Der Teufel sitzt im Querpaß
■ Hertha BSC und Borussia Mönchengladbach verfielen nach drei rasanten Anfangsminuten alsbald in spielerische Lethargie, praktizierten Fußball an der Armutsgrenze und trennten sich 1:1
Olympiastadion (taz) — Nur sieben gesunde Stammspieler standen Hertha-Trainer Peter Neururer für das Spiel gegen Borussia Mönchengladbach zur Verfügung, den Rest mußte er zum Auflaufen „überreden“ — so wurde mit Dirk Greiser jemand eingesetzt, der bisher erst ein einziges Mal wieder mit der Mannschaft trainiert hatte.
Aber es sollte alles gar nicht so kommen, wie man hätte denken müssen: Bereits in der 3. Minute, als Neururer gerade damit anfing, sich nach einer dicken Borussen-Chance ganz fürchterlich aufzuregen, geschah das Unfaßbare: Dragutin Celic paßte auf Mike Lünsmann, und der zog ab — Tor! Der erste Führungstreffer für die Berliner im Olympiastadion seit dem 20.10.90!
Das konnte natürlich nicht gutgehen, obwohl Verteidiger Winkhold die „anatomische Übermacht“ (Neururer) seines Gegenspielers Criens erstaunlich gut in den Griff bekam. In der 25. Minute erzielten die Gladbacher den durch ziemlich dämliches Herumstehen der Herthaner im eigenen Strafraum ermöglichten Ausgleich. Ein Schüßlein von Schneider fälschte Theo Gries unerreichbar für Torwart Junghans ab. Unliebsame Erinnerungen wurden wach, fortan agierten sie zwar nicht mehr nach dem Motto „Blinder Eifer schadet nur“, sondern durchaus eifrig, aber eben blind.
Im Duell Armut gegen Elend standen sich beide Mannschaften in nichts nach. Das Publikum hingegen tat sein Bestes, aber was nutzten noch so durchdachte Vorschläge wie „Zieh ab Mensch, voll drauf“, wenn die Akteure unten auf dem Rasen den Ball dann bloß ein bißchen in Richtung Tor kullerten.
Falls sich unter den anwesenden 8.159 Zuschauern Freunde schlechten Fußballs befanden, so wurden wenigstens die nicht enttäuscht. Die Borussen taten sich durch herthaeske Spielzüge hervor, die Herthaner waren zwar willig, aber einzig Armin Görtz schien keine Angst vor dem Ballkontakt zu haben. Und weil man auf dem Fußballplatz fürs Leben lernt, bestätigten sich gleich mehrere Sinnsprüche: „Der Teufel sitzt im Querpaß“ beispielsweise, „Mittelfeld tut selten gut“ oder auch „Rückgabe hat Gold im Mund“.
Hätte nur irgend jemand den Berlinern mal beigebracht, daß es zu nichts führt, dem Gegner zwar den Ball abzunehmen, aber ihn ihm postwendend wieder zurückzugeben; daß man sich nicht bei jeder Ballannahme einmal um sich selbst drehen muß; daß man das Leder nicht einfach dahin schießen darf, wo nun wirklich überhaupt niemand steht. Trotzdem, immer wieder Hut ab — dafür, daß Hertha bei diesem Punktestand überhaupt noch aufläuft. „Immer weiter immer geradeaus, nicht verzweifeln, denn da holt dich keiner raus.“ (Nena)
„Man hat den tiefen Grund einer Sache nicht erforscht, wenn man sie im Licht der Niedergeschlagenheit betrachtet.“ (E.M. Cioran) Als das Gestolpere und Gegurke endlich abgepfiffen wurde, waren die Gladbach-Anhänger ganz ausdrücklich böse mit ihrer Mannschaft — die Berliner feierten den unerwarteten Punkt (den ersten nach sechs Spielen!). Borussen-Trainer Gerd vom Bruch meinte nach dem blamablen Spiel in weiser Selbsterkenntnis: „Es ist angebracht, nicht allzu viel zu sagen“; Neururer sprach von einem „großen Kampf“ seiner Mannschaft. „Ich bin mit der Leistung mehr als zufrieden“, sagte er, „mit der Punkteteilung nicht unbedingt.“
„Und in seinem Munde sammelten sich all die Tränen, die seine Augen nicht weinen wollten.“ (H.G. Konsalik) Elke Wittich
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