Produktivkraft Kreativität

■ Die Einführung von Gruppenarbeit bei Opel nützt auch den ArbeiterInnen

Produktivkraft Kreativität Die Einführung von Gruppenarbeit bei Opel nützt auch den ArbeiterInnen

Die Einführung von Gruppenarbeit in den inländischen Werken des Opel-Konzerns wird nicht den gleichen Wirbel machen wie vor Jahren die Experimente des schwedischen Volvo- Konzerns. Aus aller Welt pilgerten damals die Produktionsfachleute, Gewerkschaftsexperten und Industriesoziologen nach Malmö, um einen epochalen Fortschritt in den industriellen Beziehungen zu studieren. Doch das schwedische Experiment ist schon wieder Vergangenheit — gescheitert am Auseinanderklaffen von sozialreformerischer Utopie und wirtschaftlicher Notwendigkeit.

Das Opel-Experiment hat bessere Aussichten, den Praxistest auf Effektivität zu bestehen. Denn es geht vom Bestehenden aus und versucht, die immer noch äußerst genau und eng normierten Arbeitsvorgänge der Automobilproduktion in eine Richtung zu verändern, die den Arbeitern mehr Selbstregulierungskompetenzen gibt. Es ist keine Revolution, sondern eine bescheidene Reform, die Management und Gesamtbetriebsrat in Rüsselsheim ausgehandelt haben. Aber es ist eine Reform, die neue Möglichkeiten für die Humanisierung des Arbeitslebens eröffnet, die dem Arbeiter ein bißchen von der Würde zurückgibt, die ihm in den Jahrzehnten fortschreitender Taylorisierung genommen worden ist.

Jahrzehntelang hat die Industrie die Arbeitsprozesse in der industriellen Massenfertigung immer weiter zerstückelt, um der Arbeitskraft auch noch die letzten eigenen Dispositionsspielräume gewinnsteigernd abzupressen. In weiten Bereichen, insbesondere bei der hauptsächlich von Frauen verrichteten Fließbandarbeit, gibt es immer noch Taktzeiten von weniger als einer Minute. Aber auf der Höhe der Zeit und auf dem Stand der technischen Möglichkeiten sind derart menschenunwürdige Arbeitsprozesse nicht mehr. Schon seit langem haben auch die Unternehmer die Produktivkraft Intelligenz, Zufriedenheit und Kreativität entdeckt. Heute gelten jene Unternehmer als die fortschrittlichsten, die bei der Mensch-Maschine- Kombination bewußt auch auf die kreativen Fähigkeiten ihrer Beschäftigten setzen.

Die Betriebsvereinbarung von Opel ist also Teil eines Veränderungsprozesses in der Arbeitswelt, der den Menschen neue Chancen auf die Gestaltung ihres täglichen Arbeitsprozesses, unter Umständen auch ihrer gesamten Erwerbsbiographie eröffnet. Zweifellos ist dem Konzern die Zustimmung zu dieser Regelung durch seine derzeit glänzende Absatzlage erleichtert worden. Weniger florierende Firmen tun sich erfahrungsgemäß schwerer mit Reformen des Arbeitsprozesses, die für das Unternehmen natürlich immer auch mit Risiken verbunden sind. Dennoch weist das Rüsselsheimer Abkommen in die richtige Richtung. Martin Kempe