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Für Theater und Kino reicht das Geld gerade noch

Sechs von zehn Studenten in Ostdeutschland schätzen ihre heutige finanzielle Lage deutlich schlechter ein als vor der Währungsunion/ Mindestlebensbedarf liegt jetzt durchschnittlich bei 673 DM pro Monat, der BAFöG-Grundbetrag bei 500 DM  ■ Von Elisabeth Enders

Leipzig. Gab es bis jetzt ein einheitliches Stipendium von Vater Staat, so geistert seit der Wende das Wort BAFöG durch die Köpfe. Damit sind viele Studenten plötzlich freier, finanziell ungebundener, selbständiger, da sie über mehr Geld verfügen können.

Es geht...

Es gibt aber auch das andere Extrem: Claudia, 21, ist Fachstudentin. Ihre Eltern verdienen zu gut, so daß Claudia lediglich 50 Mark pro Monat BAFöG bekommt. Dadurch ist sie völlig abhängig von ihren Eltern, da das BAFöG noch nicht einmal für ihre neue Wohnung reicht. Ein Nebenjob ist für sie unmöglich, da sie im Rahmen ihrer Ausbildung als Krankenpflegerin im Dreischichtensystem arbeitet. Sie leistet dabei die Arbeit einer voll ausgebildeten Krankenschwester. Daß sie dafür nicht eine müde Mark bekommt, sehen die Verantwortlichen als natürlich an. Claudia versteht sich mit ihren Eltern gut, hat insofern „Glück“. Doch was ist mit denen, die bei den Eltern auf Unverständnis und geschlossene Taschen stoßen?

Für Matthias, Beate und Arthur (vier Wochen) wird Bahnfahren zum Problem. Seitdem die Deutsche Bundesbahn die Preise erhöht hat, ist es für sie unmöglich, mit dem Zug zu verreisen, vor allem, da Matthias „zu alt“ für die jeweiligen Vergünstigungen ist. Zur Not müssen sie eben mal jobben. Fragt sich nur, ob das gut fürs Studium ist.

Die neuen finanziellen Regelungen wirken sich von Fall zu Fall verschieden aus. Was gleich ist, sind die Probleme mit steigenden Mieten, Energie- und Wasserpreisen. Aber wer will es den Studenten verdenken, daß sie mit zwanzig Jahren ihr eigenes Leben in einer eigenen Wohnung oder Wohngemeinschaft, unabhängig von Ansichten und Finanzmitteln der Eltern, leben wollen?

Für Theater, Kino oder Moritzbastei reicht das Geld immer noch, und im großen und ganzen ist das Studentenleben genauso locker wie seit eh und je.

... aber schlecht

Fast sechs von zehn Studenten in Ostdeutschland schätzen ihre heutige finanzielle Situation deutlich schlechter ein als vor der Währungsunion. Jeder zweite Student hat erhebliche Schwierigkeiten, das Studium zu finanzieren. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studentenbefragung des Hochschul-Informations-Systems Hannover (HIS). Die Studienkosten lagen in den neuen Bundesländern im November 1990 bei durchschnittlich 531 DM — vor der Wende bei 400 Mark. Zum Vergleich: Im Westen der Bundesrepublik betrugen die Lebenshaltungskosten eines Studenten im Jahr 1990 bei 1.012 DM.

Die Aufwendungen für das Studium werden weiter steigen — vor allem aus zwei Gründen:

1.Wohnungsmieten: In den nächsten Monaten erhöhen einige Studentenwerke die Mieten von bisher 10 DM auf 50 DM. Das ist genau der Betrag, der im Ost-BAFöG als Mietzuschuß vorgesehen ist. Doch das wird auf Dauer nicht reichen. Rein rechnerisch sind kostendeckende Mieten zwischen 80 und 160 DM pro Wohnheimplatz erforderlich. Derzeit leben noch über 80 Prozent der Studierenden in Studentenwohnheimen, die allesamt hoch subventioniert werden. Diese Mieten sind mit 26 DM oder einem Anteil von 5 Prozent am Gesamtbudget äußerst gering. Zum Vergleich: In Westdeutschland zahlt ein Student für ein Zimmer oder eine Wohnung durchschnittlich 322 DM Miete — das sind 32 Prozent des Budgets.

Weiter auf Hilfe angewiesen

2.Außerordentliche Ausgaben: Dahinter verbergen sich Kosten für die Renovierung des Zimmers, für die Anschaffung von Möbeln, eines PCs oder eines Autos sowie für Kleidung. Eine Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben zeigt die zunehmenden Finanzierungsprobleme, die rund drei Viertel der Studenten haben: Im Oktober 1990 verfügte jeder sechste Student in Ostdeutschland über ein Einkommen von weniger als 400 DM. Mehr als 43 Prozent der Studenten hatten Einnahmen zwischen 400 und 600 DM.

Insgesamt benötigen die ostdeutschen Studenten — so die HIS-Studie— im Durchschnitt monatlich 673 DM, um ihren Mindestbedarf decken zu können. Angesichts schwindender Sparguthaben, begrenzter finanzieller Möglichkeiten der Eltern, fehlender Jobs und steigender Lebenshaltungskosten sind ostdeutsche Studenten weiter auf Hilfe angewiesen. (daz)

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