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Türkei richtet Lager ein

■ Kurden sollen in Einrichtungen diesseits und jenseits der Grenze zum Irak untergebracht werden/ Ankara gibt internationalem Druck nach

Silopi (wps/taz) — Die türkische Regierung hat am Montag bekanntgegeben, daß alle Flüchtlinge aus dem Irak in entsprechend ausgestatteten Lagern untergebracht werden sollen. Die Wende erfolgte, nachdem Ankara vor zwei Wochen die Grenze für Flüchtlinge offiziell geschlossen hatte und dies angesichts des Flüchtlingselends auf zunehmende internationale Kritik gestoßen war.

Der für die unter Ausnahmezustand stehenden Provinzen Ostanatoliens zuständige Gouverneur Havri Kozakcioglu sagte, am Montag habe man damit begonnen, etwa 2.000 Flüchtlinge täglich von Isikveren in die Ebene zu bringen. Dort drängen sich auf einem Berg etwa 150.000 Menschen ohne Wasser, Unterkunftsmöglichkeiten oder sanitäre Einrichtungen zusammen. Zunächst sollen 25.000 Personen, vor allem Kinder, Schwangere und Kranke, mit Bussen in das etwa 150 Kilometer entfernte Silopi gebracht werden, eine kleine Stadt nahe der Grenze zum Irak.

Ein Pilgerzentrum wurde mittlerweile für die Aufnahme der Flüchtlinge vorbereitet. Soldaten der US- Armee, die als Teil der „Operation Beistand“ in der Türkei tätig sind, stellten über Nacht Hunderte von Zelten auf. In der Nähe wurde ein Landeplatz für Hubschrauber angelegt, damit Hilfsgüter in das Lager gebracht werden können. Ärzte, Krankenschwestern, Lastwagen voller Medikamente, acht mobile Küchen und ein mobiles Krankenhaus wurden von der Regierung nach Silopi geschickt. Krankenschwestern aus Städten in der Region sagten, sie hätten erst in der Nacht zum Montag durch Telefonanrufe von der Aktion erfahren.

Hilfsorganisationen hatten der Regierung in Ankara wiederholt vorgeworfen, daß die Flüchtlinge — zum Teil mit Waffengewalt — in den Bergen zurückgehalten wurden. Kozakcoiglu kündigte an, die Regierung werde 30 bis 35 weitere Standorte für Lager in den Ebenen für die Kurden ausfindig machen, die sich noch in den Bergen aufhalten. Er lud die UNO und internationale Hilfsorganisationen ein, die Lager einzurichten und zu versorgen. Einige der Lager, so der Gouverneur weiter, sollten jenseits der Grenze im Irak errichtet werden und von den Vereinten Nationen und privaten Hilfsorganisationen — nicht der Türkei — verwaltet werden. Dies entspräche der UN-Resolution 688, in der der Irak aufgefordert worden war, den humanitären Organisationen Zugang zu verschaffen. Derzeit halten sich nach Schätzung der Behörden 500.000 Flüchtlinge aus dem Irak in der Türkei auf, mit weiteren 300.000 werde in den nächsten Tagen gerechnet.

Mit Empörung reagierte die türkische Regierung am Montag auf Vorwürfe, die Armee habe die Flüchtlinge gewaltsam am Grenzübertritt gehindert. Wie aus britischen Regierungskreisen bekannt wurde, sagte der türkische Ministerpräsident Yildirim Akbulut bei einem Treffen mit seinem Amtskollegen John Major in London, bisher sei kein irakischer Kurde von türkischen Soldaten erschossen worden. Akbulut sicherte Major Unterstützung für den britischen Vorschlag zu, Schutzzonen für Kurden im Nordirak zu errichten.

Ungeachtet zahlreicher gegenteiliger Berichte von Augenzeugen und Journalisten wiesen auch Regierungsbeamte in Ankara Vorwürfe von Mißhandlungen oder Schüssen auf die Flüchtlinge zurück. Es wurde jedoch eingeräumt, daß mitunter „ein physisches Eingreifen“ der Soldaten unausweichlich sei, um zu verhindern, „daß sich die hungrigen Flüchtlinge bei der Verteilung gegenseitig umbringen und Lastwagenkonvois plündern“.

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