Keine Spur mehr von Kampfeslust

■ Zu der Kundgebung der IG Metall für »Arbeit in Ostdeutschland« neben dem Brandenburger Tor kamen viel weniger Menschen als erwartet/ Veranstalter sind enttäuscht/ Resignation und vage Hoffnungen auf Hilfe von oben herrschten vor

Berlin. Die wenigen Fähnchen und Transparente zwingen ihre Träger zu einem fortwährenden Kampf mit den Naturgewalten. Auf der gestrigen IG-Metall-Kundgebung für »Arbeit in Ostdeutschland« ist die Stimmung reserviert und der Wind, der über das Areal neben dem Brandenburger Tor fegt, kalt. Von Kampfeslust ist bei den Demonstranten nicht viel zu merken, viel aber von Resignation und manchmal naiver Hoffnung auf »die da oben«. Deutlich weniger als erwartet sind gekommen, vielleicht 35.000, sagt die IG Metall. Es fehlen sogar die Metaller aus der Umgebung.

Die Gewerkschafter sind enttäuscht, so mancher Bus aus den neuen Bundesländern ist nur halbvoll angerollt. Dabei hatte die westdeutsche Gewerkschaft mit Bussen sogar Solidaritätsgruppen herangekarrt, aus Lübeck, Duisburg oder dem ostfriesischen Emden. Die Duisburger tragen wohl das größte Transparent, auf dem ein böser Wolf, zugedeckt mit einer Karte der fünf neuen Länder, vom dirndltragenden Kohl eine Treuhandspritze verpaßt bekommt. Drohender Untertitel: »Wer mit dem Wolf tanzt«.

Der 47jährige Transparentträger Bernd Kempinski, Meß- und Regelmechaniker bei Thyssen, möchte die Ostdeutschen unterstützen. »Wir sind schließlich demoerprobt.« »Es hätten wesentlich mehr kommen müssen«, schimpft Herbert Seelmann. Der Dessauer arbeitete jahrzehntelang im dortigen Elektromotorenwerk, jetzt ist er auf Kurzarbeit. An seinem 60. Geburtstag kam die Kündigung, sechs Monate, bevor er seine 45 Arbeitsjahre voll hatte. »Früher trauten sich die Leute aus Angst vor den Kadern nicht, ihre Meinung zu sagen, und heute fürchten sie, ihren Arbeitsplatz zu verlieren und bleiben zu Hause.« Heute würde er sein 40jähriges Betriebsjubiläum feiern, »und niemand wird mir ein Wort des Dankes sagen«.

»Wir wollen doch arbeiten, warum läßt man uns denn nicht?« fragt die 50jährige Monika Hartmann aus Thüringen. Von ehemals 13.000 Beschäftigten bei Robotron würden mittlerweile nur noch 8.000 arbeiten. Nicht nur die 50jährige ist ohne Beschäftigung, »mein Sohnemann ist auch auf Null«. Oft mischt sich in die Niedergeschlagenheit auch Hoffnung auf naheliegend erscheinende Lösungen. »Die Treuhand soll uns helfen, die hat doch Geld. Sie soll unseren Betrieb sanieren«, beschwört Heidelore Dinse. Sie habe 30 Jahre lang in Ribnitz- Dammgarten in der Ostseeschmuck- VEB gearbeitet, »nein, GmbH«, verbessert sie sich schnell. Auch sie ist auf Kurzarbeit, wie die meisten hier.

Die Marktwirtschaft sei für ihre Misere verantwortlich, sagen viele, aber Aggressionen gegen die Treuhand werden kaum laut. Der CDU- Fraktionsvorsitzende Landowsky interpretiert die Resignation der Demonstranten in seinem Schöneberger Arbeitszimmer als »Realitätssinn« und »Verantwortungsbewußtsein«. Konrad Weiß vom Bündnis 90 wird beklatscht, auch wenn er sagt, die Ostdeutschen hätten sich vieles von dem, was jetzt beklagt wird, selbst eingebrockt. Anstatt das Geschick in die eigenen Hände zu nehmen, hätten sich die meisten »willig neuen Herren ausgesetzt«. Stimmt, meint ein Zuhörer aus Brandenburg, die Arbeitslosigkeit erscheine vielen wie eine Naturkatastrophe. Und drohend wie die Regenwolken über dem Aprilhimmel kündigt sich das Ende der Kurzarbeit-Sonderregelung an. »Nach dem 31. Juni befürchte ich Schlimmes«, sagt er und spannt seinen Regenschirm auf. Karen Pfundt

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