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Ein deutsches Künstlerschicksal

■ „Der Fall Selpin“ um 22.35 Uhr in der DFF-Länderkette

Der Untergang der Titanic als der Untergang einer in sich abgeschlossenen und isolierten Welt, einer Welt am Abgrund — das war Herbert Selpins Regiekonzept, als er von den Nationalsozialisten im dritten Kriegsjahr 1942 den Auftrag erhielt, einen Film über die Jahrhundert- Tragödie 1912 im eisigen Atlantik zu drehen. Der Film bedeutete auch den Untergang für Selpin, er wurde zu einer Tragödie für einen Regisseur, der sich bis dahin einen Namen vor allem mit Hans-Albers-Filmen wie Wasser für Canitoga (mit dem Song „Good bye Johnny“) gemacht hatte. Selpin wurde mitten in den Dreharbeiten von den Nazis in den Tod getrieben.

Den Fall Selpin schildert das dokumentarische Film-Essay von Fred Gehler und Ullrich Kasten, das die DFF-Länderkette des ostdeutschen Fernsehens heute um 22.35 Uhr ausstrahlt. Die beiden Filmemacher sind in der früheren DDR durch zahlreiche Film-Essays vor allem über die 20er Jahre und das Dritte Reich bekanntgeworden. Eine der letzten bemerkenswerten Arbeiten war eine äußerst kenntnisreiche und nuanciert-einfühlsame Dokumentation über die Entstehung des Ufa-Films Der blaue Engel von Josef von Sternberg mit Emil Jannings, an dessen Seite der Jungstar Marlene Dietrich weltberühmt wurde.

Selpin, der bis zu seinem letzten Filmauftrag keineswegs gerade als Nazi-Gegner aufgefallen war und mit Albers sogar den ziemlich anrüchigen NS-Propagandafilm Carl Peters über einen deutschen Kolonialpionier gedreht hatte, wurden unbedachte Wutausbrüche gegen deutsche Marinesoldaten („Scheißsoldaten“) zum Verhängnis, die bei den Dreharbeiten in Gotenhafen, dem heutigen Gdingen, als Statisten in den Panikszenen beim Untergang des Ozeanriesen mitwirkten. Dem Kameramann Friedel Behn-Grund gelangen dabei übrigens so „großartige Bilder“, wie ihm später bescheinigt wurde, daß die Außen- und Trickaufnahmen als die bisher gelungensten aller Titanic-Verfilmungen angesehen werden. Die Nationalsozialisten haben den von Werner Klingler fertiggestellten Film wegen seiner allzu großen Realitätsnähe bis 1945 nicht mehr freigegeben.

Am 3. August 1942 wurde in den Berliner Filmateliers eine Bekanntmachung des „Reichsfilmintendanten“ ausgehängt, wonach sich Selpin „durch niederträchtige Verleumdungen und Beleidigungen deutscher Frontsoldaten schwerstens gegen die Kriegsmoral vergangen“ habe. Der lapidare Zusatz lautete: „Selpin hat in der gerichtlichen Untersuchungshaft in der Nacht zum 1. August seinem Leben ein Ende gemacht.“

Der Titanic-Film kulminierte nach Ansicht der Autoren die Zerrissenheit des Herbert Selpin. Auftrag und eigenes Wollen stießen sich zusehends ab und persönliche Mißstimmungen mögen dazu beigetragen haben, daß er sich zu den Worten hinreißen ließ: „Was ist denn schon dieses Scheiß Ritterkreuz. Ich möchte mir lieber mit Titanic das Ritterkreuz der Filmarbeit verdienen.“

Selpin wurde daraufhin zu Joseph Goebbels, dem allmächtigen NS- Propagandaminister, zitiert und widerruft zum Entsetzen seiner anwesenden Kollegen, darunter Wolfgang Liebeneiner, nicht. Seine Existenz als Filmschaffender war schon zuvor mit dem Rausschmiß aus der Reichskulturkammer vernichtet worden. Offenbar sah Selpin daher keine Zukunft mehr für sich.

Der Fall Selpin war und ist „nicht nur sein Fall“, wie die Filmautoren betonen, die noch anderen, prominenteren Künstlerschicksalen im Dritten Reich nachspüren wollen, wie von Heinrich George, Emil Jannings, Werner Krauss und Eugen Klöpfer — Künstler, die in Deutschland blieben, weil sie an „Freiräume abseits der herrschenden Ideologie“ glaubten, wie Regisseur Kasten es sieht. Womit sich der Bogen zur Gegenwart spannt, denn dieses Thema war für Filmemacher in der früheren DDR tabu, weil es sich für viele Menschen in dem neuen totalitären Staat ähnlich gestellt hatte. dpa

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