KOMMENTAR: Vom Westen bewältigt
■ Wie das Parlament die Stasi-Vergangenheit umgeht
Sich selbst wollen die Westberliner Abgeordneten auf alle Fälle nicht überprüfen lassen. Das ist der Kernpunkt des Beschlusses zur Stasi-Überprüfung des Landesparlamentes, den die Abgeordneten gestern im Rechtsausschuß faßten. Daß die Parlamentspräsidentin und zwei weitere westliche Mandatsträger sogleich und freiwillig die Selbstüberprüfung beantragten, verschleiert diese Tatsache geschickt.
Weil ein Westberliner mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen muß, wenn er Diensten für den DDR-Geheimdienst überführt wird, ist von wirklich belasteten Westlern — verständlicherweise — keine Selbstbezichtigung zu erwarten. Für einen belasteten Ostberliner kann ein Antrag auf Überprüfung dagegen die Chance mit sich bringen, mit der eigenen Vergangenheit ins reine zu kommen — und die Umstände offenzulegen, unter der seine Spitzeldienste für das DDR-Regime zustande kamen. Im Ergebnis des gestrigen Parlamentsbeschlusses wird folglich ein Vorurteil zementiert: Die Stasi, das sei allein ein Problem des Ostens.
Die gestern von CDU und SPD abgelehnte generelle Überprüfung aller Abgeordneten aus Ost und West war nicht nur von Bündnis 90 und Grünen gefordert worden. Denselben Wunsch hatten auch — in interner Sitzung — die meisten Ostberliner Abgeordneten der beiden Regierungsparteien geäußert. Intern wurden sie von den Westberlinern überstimmt. Öffentlich beugten sie sich jetzt dem Fraktionszwang.
Die Westler wiesen eine generelle Überprüfung ab und argumentierten mit dem hohen Rang des Verfassungsorgans Parlament — an sich ein ernst zu nehmender Beweggrund. Der Rang eines Parlaments wird freilich nicht nur von seiner geschriebenen Verfassung bestimmt. Verfassungsrechtlich ist es möglich, die Hauptbetroffenen einer Entscheidung per Mehrheitsbeschluß und Fraktionsdiziplin zu entmündigen. Politisch stillos ist das trotz alledem. Hans-Martin Tillack
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