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Die im Regen sitzen

■ Bernard Koltes »Die Nacht kurz vor den Wäldern« im Modernen Theater Berlin

Ein Blick rechts über die Schulter, ein Blick links über die Schulter: es sitzt ein Gejagter vor uns allein auf der Bühne. Einer, der, weil mißtrauisch, dem Publikum nur den Rücken zuwenden kann. Der lange braucht, um sich zu öffnen, um sein Winzigsein zu monologisieren, bis er den Mantel ablegen kann.

Bernard Koltes hat sein Monologstück Die Nacht kurz vor den Wäldern in Avignon 1977 selbst uraufgeführt. Die im Modernen Theater gezeigte Erstaufführung versteht sich als Hommage an den vor zwei Jahren am 15. April verstorbenen Koltes.

Im Eingangsbild spricht der Protagonist zu seinem Schatten. Sein Leid: Er ist im Regen allein. Er ist ein abgedienter Matrose, in einer Hafenstadt Frankreichs, er ist mit seinem Geschlecht allein. Er wollte einen auf der Straße nach Feuer fragen, eigentlich nach einem Zimmer, noch eigentlicher nach Zweisamkeit, eben, weil es so regnet, eben, weil er des Schutzes bedarf.

Unter diesem nimmerendenden Regen, der ihm die Brust unter Wasser setzt, beginnt er zu delirieren. Er steigert sich in eine paranoische Kiste hinein, das internationale Syndikat als Idee. Der deutsche Schauspieler Volker Langwagen ist indes kein abgehalfterter Matrose, es ist ihm nicht klamm, man hat ihm nicht gerade die Fresse blutig geschlagen — er will nur intensiv ein Ausgestoßener sein.

Es gelingt ihm nicht, den Einsamkeitsradius eines durchschnittlichen Penners in der Berliner U-Bahn um sich zu ziehen. Er ist von seinem Text nicht ausreichend besessen, muß ihn nicht als letzte Selbstvergewisserungsmöglichkeit wieder und wieder sagen, nein, er spricht ordentlich reines Deutsch, testet die Worte, trägt sie einstudiert vor sich her, unterstützt sie gelegentlich mit Handzeichen, steht trotz seiner dicksohligen Schuhe eher unsicher und beziehungslos im Raum.

Der Raum, in den ihn die Regisseurin Ingrid Ernst hineingestellt hat, eine schöne Anrichtung mit Plastikfolie mit wenigen Requisiten, gibt ihm allerdings wenig Halt. Trotz der gelungenen Lichtregie von Edzard Onneken, der mit seinen drei Scheinwerfern optimal operiert, findet der Schauspieler zu keiner Figur. Und trotz der teils unverputzten Backsteinwände in dem kleinen, dunklen Theater bleibt die Koltessche Marginalienexistenz das, was sie schon in der Schaubühne war: ein kurioses Schauobjekt für den interesselosen Voyeur.

Es gibt dennoch intensive Momente: wenn Langwagen auf seiner Tasche sitzt und sein gebogener Rücken von der endgültigen Niederwerfung erzählt. Auch sein Bericht über die Rocker, die ihn als Schwulen in der Metro zusammengeschlagen und bestohlen haben, ruft beim Zuschauer Bilder wach. Wenn er sich dann allerdings wieder ans Schattenboxen macht, ist keine Wut in seinem Bauch. Michaela Ott

Do.-Mo., 20.30 Uhr, Merseburger Straße 5 in Schöneberg

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