: Achilles' Verlobte und die Enkel Homers
■ Die Kulturwoche der Griechisch-Demokratischen Gemeinde im Ballhaus Naunynstraße
Das Anliegen der Griechisch- Demokratischen Gemeinde Berlin, die in dieser Woche gemeinsam mit dem Kunstamt Kreuzberg ihre »Nostos Tage« durchführte, ist es, ein kulturelles Angebot an ihre etwa 2.000 Mitglieder, die als Arbeitsemigranten in West-Berlin leben, zu machen.
Die Gemeinde bemüht sich um eine kulturelle Eigenständigkeit der Emigranten, hilft aber auch bei den alltäglichen Problemen im Umgang mit den Behörden. Eine besondere Bedeutung hatte sie während der griechischen Militärjunta 1967—1974. In Berlin, das ein Zentrum ihres Widerstandes gegen diese Diktatur von Rechts bildete, löste sie sich allerdings in diesen Jahren offiziell auf, da viele ihrer Mitglieder untertauchten, um sich Verfolgung und Auslieferungsanträgen der griechischen Regierung zu entziehen. Erst 1976 wurde sie neu gegründet.
Aus der revolutionären Bewegung der griechischen Linken kommen auch die beiden Literaten Alki Zei und Titos Patrikios, die am Sonntag aus Texten lasen, die demnächst im Kölner Romiosini Verlag von Niki Eideneier erscheinen werden. Die Verlegerin gab zunächst einen kurzen Überblick der beiden Biographien.
Alki Zei (geb. 1927) stammt aus dem Athener Großbürgertum und gehörte zur Widerstandsbewegung gegen die deutsche Besatzung (1941—1944). Im anschließenden Bürgerkrieg unterstützte sie die linken Kampfgruppen und exilierte nach der Niederlage der Kommunisten ins sowjetrussische Taschkent. Lange Zeit war sie ausschließlich als Kinderbuchautorin bekannt. In der Zeit ihres zweiten Exils nach dem Militärputsch von 1967 aber begann sie mit einer persönlichen Aufarbeitung ihrer politischen Tätigkeit. Diese Reflexionen gingen in den Roman Achilles' Verlobte ein, aus dem längere Passagen zweisprachig gelesen wurden. Aus der Perspektive der Lebensgefährtin eines gefeierten Revolutionshelden demontiert sie den übertriebenen heroischen Anspruch dieses neuen Achilles, indem sie ihm die Trostlosigkeit des Exillebens in der russischen Steppe und die Sprachlosigkeit zwischen Mann und Frau kontrastiert. Der Roman, der in Frankreich und Griechenland außerordentlich erfolgreich ist, begründete die griechische Frauenliteratur und paßt auch recht gut zur im Moment modernen Verabschiedung linker Ideale.
Andere Töne gab es in der Lyrik von Patrikios zu hören, der wie Zei zur »Generation der Niederlage« gehört und deshalb während der fünfziger Jahre innerhalb Griechenlands nur als Verbannter und unter Polizeiaufsicht leben durfte. Dem entzog er sich schließlich durch die Emigration nach Paris. Auch Patrikios' Literatur verzichtet nach diesen Erfahrungen auf ein übertriebenes revolutionäres Pathos und kritisiert, man sei »stumpf in seinem konspirativen Hochmut« gewesen. Stärker als Zei hält er aber an einer Verbindung von politischem Engagement und seinen lyrischen Visionen fest. Auch wenn es in einem seiner Gedichte heißt: »kein Vers setzt heute die Massen in Bewegung«, beschreibt er sich immer wieder als einen, der von der Politik nicht lassen kann. Ein blinder Ödipus, der immer noch an die Dinge rührt, die die anderen nicht sehen wollen.
Nach den Lesungen kam es zu einer recht langen politischen Diskussion zwischen den Mitgliedern der griechischen Gemeinde und den Schriftstellern, die, obwohl sich nur eine Handvoll ausschließlich deutschsprachiger Besucher im Ballhaus befanden, immer wieder eigens übersetzt wurde. Eine kleine Lektion in Sachen Multikultur durch die Erfinder der Demokratie, die sich in Europa heute eher an den Rand gedrängt sehen. Sichtlich gerne ergriff man die Gelegenheit, anhand der Erfahrungen Zeis und Patrikios' politische Visionen im Kontext der Veränderungen in der Sowjetunion und ihre Bedeutung für die westeuropäischen Intellektuellen aus der Sicht der jüngsten griechischen Geschichte zu diskutieren.
Zwei ganz andere Elemente griechischer Kultur führten der archäologische Vortrag von Professor Pandermalis am Dienstag und die Schattenspielstücke von Takis Paleodorodos an den folgenden Tagen vor. Pandermalis stellte die Ergebnisse der von ihm geleiteten Ausgrabungen der makedonischen Stadt Dion vor, die, am Fuß des Olymps liegend, ein wichtiges Zentrum der griechischen Religion im fünften Jahrhundert vor der Zeitwende war.
Die Schattenspielkunst haben die Griechen dagegen vor etwa 200 Jahren von ihren türkischen Besatzern übernommen und sie zu einer eigenen Volkskunst entwickelt, die heute allerdings mehr und mehr verschwindet. Nichtsdestotrotz waren die Kindervorführungen im Ballhaus ein großer Erfolg. Die Abendvorführungen aber sahen nur wenige Interessierte. Die Vorführung des in griechischer Sprache von Paleodorodos vorgeführten Schelmenstücks, in dem ein griechischer Eulenspiegel seine Gläubiger übertölpelt, indem er sich tot stellt, hinterließ bei den etwas zahlreicher erschienenen deutschen Besuchern eher den melancholischen Eindruck eines anachronistischen Kunstvergnügens.
Zum Abschluß der Kulturwoche findet ein Konzert mit Kompositionen von Charis Papadopoulos statt, der Lyrik von Kavafis, Kariotakis und Kavvadias vertont hat, die zu den bedeutendsten Dichtern des 20.Jahrhunderts zählen.
Aufführende sind Vasilis Lekkas und Alpena Ivanova, die, anknüpfend an die Liedtraditionen von Theodorakis, ihre Textinterpretation mit Elementen aus Jazz und Rock angereichert haben. Thomas Schröder
Das Konzert findet heute und morgen im Ballhaus, Naunynstr.27, in Kreuzberg statt.
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