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Elend-Ost im Bundestag

■ Generaldebatte um Jahreswirtschaftsbericht/ Möllemann: Erneuerung beginnt schon/ Roth: Katastrophale Fehler

Bonn (dpa) — Kontrovers haben Bundesregierung und Opposition am Freitag im Bundestag die Chancen für einen schnellen wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Bundesländern bewertet. Während Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann (FDP) in der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht der Regierung meinte, der Osten stehe schon am „Beginn der Erneuerung“, sprach der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD, Wolfgang Roth, von einem „Abschwung Ost“. Sprecher von Koalition und Opposition betonten aber auch, daß der Aufbau der ehemaligen DDR nur durch „gemeinsames Anpacken“ aller Parteien bewältigt werden könne.

Möllemann versicherte, die Überwindung der „inneren Teilung“ Deutschlands sei das „oberste Ziel“ der Bundesregierung: „Es wird in Deutschland kein Armenhaus der Unterprivilegierten geben“. Die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse sei eine „gewaltige Aufgabe“. Insgesamt stünden allein in diesem Jahr mehr als 100 Milliarden DM für die neuen Länder zur Verfügung. 300.000 neue Gewerbe, Hunderttausende neue Arbeitsplätze und ein „explosionsartiger Anstieg“ bei der Nachfrage nach Existenzgründungshilfen belegten, daß der Osten schon am „Beginn der Erneuerung“ stehe.

Der Treuhandanstalt bescheinigte Möllemann, sie habe trotz einzelner Fehlentscheidungen und langsamer Entscheidungen „bisher gute Arbeit geleistet“. Die Privatisierung von Unternehmen müsse vorrangige Aufgabe der Anstalt sein, und „aktive Sanierung“ sei nur dort gefragt, wo Privatisierung nicht sofort möglich sei, forderte Möllemann. Es sei Aufgabe der Unternehmen, Sanierungskonzepte vorzulegen.

Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD, Wolfgang Roth, warf der Bundesregierung vor, sie habe mit einer Reihe „katastrophaler Fehler“ Chancen verspielt. Sie habe gezögert, gleich nach der Währungsunion die DDR-Wirtschaft zu stützen und dabei nach dem Motto gehandelt, „im freien Fall lernt man das Fliegen am besten“. Die Währungsunion hätte nicht ohne jegliches „Konzept für einen Übergang“ in Kraft treten dürfen.

Der Treuhandanstalt sei zunächst die „unrealistische Aufgabe“ aufgebürdet worden, „alles schnell zu privatisieren“, sagte Roth. Sie müsse sich nun vorrangig auf Sanierungskonzepte konzentrieren. Dabei müßten Arbeitsmarkt und regionale Aspekte berücksichtigt werden, nicht nur zu erwartende Verkaufserlöse. Roth forderte massive staatliche Hilfen für „unverzichtbare Industriestandorte“ im Osten. Auch im Westen seien marode Konzerne bis zu ihrer Gesundung jahrelang mit öffentlichen Mitteln am Leben erhalten worden. Werner Schulz (Bündnis90/Grüne) sagte, der Aufbauprozeß im Osten werde noch „quälend lange“ dauern.

Der Jahreswirtschaftsbericht erwartet 1991 für den Westen ein Wirtschaftswachstum von 2,5 bis drei Prozent. Der Zeitpunkt für den Umschwung im Osten sei nicht vorauszusagen; hier werden für das Jahresende eine Verdoppelung der Arbeitslosenzahl auf 1,7 Millionen und weiterhin zwei Millionen KurzarbeiterInnen prognostiziert.

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