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Richtigstellung-betr.: Stimmungsartikel", Leserbrief, taz vom 16.4.91

betr.: „Stimmungsartikel“, Leserbrief von Frank Frind, Hamburg, taz vom 16.4.91

[...] Ich möchte mir erlauben, die in dem Leserbrief enthaltenen falschen Tatsachenbehauptungen richtig zu stellen, und bitte Sie darum, dies umgehend Ihren Leserinnen und Lesern zur Kenntnis zu geben. [...]

1.Herr Frind behauptet, ich hätte in einem Text in „rechtsradikaler Manier“ davor gewarnt, daß Hamburg ein vorzügliches Ziel für Einwanderer aus dem Osten werden würde. Das Gegenteil ist richtig. Ich habe dargestellt, daß diese Zuwanderung kommen wird, was immer Parteien beschließen, und deswegen gefordert: „Hamburg soll zur Einwanderungsstadt erklärt werden, mit neuen Stadtteilen, in denen viele von denen, die in den nächsten Jahren nach Hamburg kommen wollen, auch leben können, wie sie wollen.“ In links-purgiertem Deutsch hätte freilich vielleicht anstatt von „Juden, Zigeunern, Ossis und Russen“ eher von „jüdischen Mitbürgern, Angehörigen der Völker der Roma und Cinti, Menschen aus den fünf neuen Bundesländern und BewohnerInnen der verschiedenen Sowjetrepubliken“ die Rede sein müssen, als ob damit deren Menschenwürde und Akzeptanz hergestellt würde.

2.Herr Frind behauptet, ich hätte vorgeschlagen, die Sozial- und Ökologiepolitik in Hamburg nach dem Modell von New York zu betreiben. Hier hat mein Text offenbar seine Aufnahmekapazität überfordert. Er lautet: „Es (unser Programm) muß sich darauf einlassen, daß Hamburg im 21. Jahrhundert größer ist als jetzt, daß die städtische Entwicklung sich verstärkt. Der über zehn Jahre anhaltende Bevölkerungsschwund der Millionenstadt ist vorbei, es geht bald wieder auf die zwei Millionen Einwohner zu. Die bei dieser neuen Entwicklung der Stadt immer wieder neu auftauchenden sozialen und ökologischen Probleme lassen sich auch nicht theoretisch wegdenken. Sie sind das tägliche Brot der Politik — solange es Politik als Medium des menschlichen Miteinander gibt, und umgekehrt, bedarf es städtischen Lebens für Politik. Unser Modell für Hamburg muß also nicht aus der Lüneburger Heide kommen, sondern eher aus New York. Und unsere Aufgabe ist es, ein sozial- und umweltverträgliches New York/Hamburg zu schaffen, das gleichzeitig ein Modell für Stadt überhaupt in der Einen Welt sein kann.“

3.Richtig ist, daß ich die Förderung der Auswanderung junger Menschen in den Ostteil Deutschlands und nach Osteuropa gefordert habe. Wer die Hoffnungslosigkeit der Menschen in vielen Ländern Osteuropas einschließlich der ehemaligen DDR zur Kenntnis nimmt, der muß wünschen, daß nicht nur Geld und Kaufleute von hier dorthin gehen, sondern auch andere Menschen. Was spricht dagegen, daß fast abbruchreife Stadtviertel in der DDR auch von Leuten mit instandgesetzt werden, die bei uns das alles (meinetwegen im „Häuserkampf“) schon einmal gemacht und ihren Frust in Lebenskraft verwandelt haben?

4.Herr Frind behauptet, „das Grüne Forum ist für Müllverbrennung“. Der Satz ist typisch für die — bislang übliche — innergrüne Dogmatisierung von politischen Positionen. Wahr ist, daß auf einem vom Grünen Forum organisierten Kongreß mit dem Thema „wie halbiert mein eine Müllion?“ auch Winfried Kretschmann zu Wort kam, der darauf hinwies, daß das eigentliche Problem nicht die Verbrennung von Müll, sondern die Reduzierung der Schadstoffe ist. Wahr ist auch, daß niemand in Hamburg (auch nicht die bisherige GAL) ein Konzept hat, wie die Müllverbrennung sofort beendet werden kann. Und wahr ist auch, daß das Grüne Forum — wie die bisherige GAL — sich heftig engagiert gegen die vom Senat geplante Kapazitätserweiterung einer Müllverbrennungsanlage. In der Logik von Herrn Frind ist auch jeder, der zugibt, daß wir die Atomkraftwerke nicht sofort abschalten können, ein Befürworter von Atomstrom.

5.Herr Frind behauptet, das Grüne Forum habe mehrfach öffentlich propagiert, daß der Golfkrieg gerechtfertigt sei. Wahr ist, daß das Grüne Forum mehrere öffentliche Diskussionen organisiert hat, in denen unterschiedliche Positionen zu Wort kamen, und daß es die auch unter Mitgliedern des Grünen Forum gegeben hat. Deswegen haben wir in der Tat niemals so platte Parolen wie „Kein Blut für Öl“ unterschrieben.

6.Herr Frind behauptet, daß Grüne Forum sei gegen die ersatzlose Streichung des Paragraphen 218. Wahr ist, daß viele im Grünen Forum der Meinung sind, daß in der aktuellen bundespolitischen Auseinandersetzung Chancen dafür vorhanden sind, die vollständige Entkriminalisierung von Frauen, die abtreiben zu erreichen, und daß dafür das bloße Verharren auf „richtigen“ Positionen nicht genügt.

7.Schließlich weiß Herr Frind, daß in der Wahlkampfkommission der GAL das Plakat „Hafenstraße bleibt“ von Vertretern des Grünen Forum als unhaltbar kritisiert wurde. In der Tat — von mir. Aber Herr Frind weiß nicht oder will nicht wissen, warum. Nach meiner Ansicht, die auch von den anderen akzeptiert wurde, ist es falsch, ein Eintreten für das Wohnrecht der Leute in der Hafenstraße mit der Aufnahme von deren eigener „Kampf“-Parole zu verbinden. Ein Plakat, das nach allem, was in Hamburg in den letzten Jahren passiert ist, sich für die Hafenstraße engagiert, darf nicht Identität vortäuschen, sondern muß an Toleranz und Rechtstaatlichkeit appellieren. Dr.Martin Schmidt, Hamburg

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