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Die lettische Presse kämpft um ihre Existenz

Die Druckerei in Riga gehört der Kommunistischen Partei, die unabhängige Blätter boykottiert/ Zwar gibt es kleine Druckereien, aber es fehlt an Papier, an Druckerschwärze und an manch anderem Zubehör/ Der einst sprichwörtlichen Lesewut der LettInnen sind damit Schranken gesetzt  ■ Von Roberts Berzins

Ihr Papier ist gelblich und dick, es ist zum Einwickeln von Heringen bestens geeignet. Im Westen könnte sich wohl kaum jemand vorstellen, damit Zeitungen zu drucken. Seit etlichen Monaten gibt es in der Ostseerepublik Lettland keine Druckerschwärze mehr, die Zeitungen sind bunt geworden. Je nach Vorrat wird aus Blau und Rot ein verwegenes Lila oder bläßliches Purpur gemischt, das an westliche Underground-Zeitschriften der seligen sechziger Jahre erinnert. Für Fotografen lohnt es sich kaum noch, Bilder zum Abdruck anzubieten. Unter diesen Bedingungen werden sie auf eine unkalkulierbare Art verfremdet.

Das ist ungewöhnlich in einem Land, in dem die Lektüre von mehreren Zeitungen zur lieben Gewohnheit geworden ist. Selbst ein Kulturwochenblatt erreicht angesichts solcher Lesewut eine Auflage von 120.000 Exemplaren, und das in einem Sprachraum von circa 2,7 Mio. Einwohnern. Aber das scheint Vergangenheit zu sein.

Zur Zeit liegt die Presse in Lettland nämlich darnieder. Die Besitzverhältnisse in dem Pressehaus in Riga, das Redaktionen von 29 überregionalen Zeitungen und Zeitschriften sowie die einzige Großdruckerei in Lettland beherbergt, sind eine Hinterlassenschaft der zentralisierten sowjetischen Planwirtschaft. Formeller Eigentümer des Betriebs ist die streng moskauorientierte örtliche KP; diese wiederum hatte sich 1967 den damaligen Staatsverlag für Presseerzeugnisse der Lettischen SSR — selbstverständlich entschädigungslos — angeeignet und zu ihrem eigenen Verlag erklärt.

Dieser Umstand hat sich allerdings zunächst einmal wenig negativ für die Herausbildung einer kritischen Presse in Lettland erwiesen. In den letzten Jahren kippten der früher übliche Pflichtslogan „Proletarier aller Länder, vereinigt euch“ und die Leninköpfe reihenweise aus den Kopfleisten: das wurde von der Partei stillschweigend hingenommen. Als aber im Frühjahr 1990 in Lettland ein Parlament gewählt wurde, das sich für die Unabhängigkeit aussprach und überdies die Absicht bekundete, das Pressehaus in eine Anteilsgesellschaft umzuwandeln, griff die KP zur Notbremse: Ende September ließ sie Truppen des sowjetischen Innenministeriums, die sogenannten „Schwarzen Barette“, in das Pressehaus einrücken, um, wie es hieß, das Eigentum der Partei zu schützen, ganz so als ob die Gefahr bestünde, daß „separatistische“ Redakteure in ihren Aktentaschen Druckmaschinen nach Hause schleppen könnten. Immerhin wurden weiterhin alle Presseerzeugnisse gedruckt, egal ob sie parteikonform waren oder für die Unabhängigkeit eintraten.

Die Situation änderte sich schlagartig, als zu Beginn dieses Jahres der Beschluß der lettischen Regierung zur Umwandlung des KP-Verlags in eine Anteilsgesellschaft umgesetzt werden sollte: die „Schwarzen Barette“ sperrten kurzerhand den Direktor der Anteilsgesellschaft aus. Aus Protest zogen daraufhin Redakteure und Drucker aus dem Pressehaus aus — unter Zurücklassung aller technischen Gerätschaften und des bereits angelieferten Papiers und anderer Materialien. Seitdem werden in der Druckerei lediglich die Zeitungen der moskautreuen KP und die örtlichen Ausgaben der Moskauer Blätter hergestellt.

Zwar hat die lettische Regierung den Versuch unternommen, durch Anrufung der staatlichen Schiedskommission in Moskau auf juristischem Wege eine Rückgabe des Betriebes zu erreichen, doch steht ein endgültiger Spruch bis heute noch aus. Für die unabhängige Presse Lettlands sind damit jedoch Samisdat-Verhältnisse angebrochen. Notausgaben mit reduziertem Seitenumfang, in kleinen lokalen Druckereien auf dem Lande produziert, prägen die heutige Zeitungslandschaft in der Ostseerepublik. Den Alltag der Redaktionen plagen gewaltige Logistikprobleme. So müssen die beim Auszug aus dem Pressehaus zurückgelassenen Papiervorräte durch Käufe auf dem „freien“ Markt ersetzt werden. Anstelle der früheren Bevormundung durch die Partei sind unter der Hand gewaltige ökonomische Knebel getreten.

Einen ersten Einbruch erfuhr die lettische Presse mit den allgemeinen Preiserhöhungen zu Beginn des Jahres, die gewissermaßen automatisch die Abonnementgebühren in die Höhe schnellen ließen — vor dem Hintergrund realer Einkommensverluste bei der Bevölkerung. Hinzu kommen explodierende Produktionskosten. Betrug der Preis für eine Tonne Offsetpapier der höchsten Gütestufe bis Ende 1990 noch 700 Rubel, so ist er jetzt je nach Verhandlungsgeschick auf das Mehrfache gestiegen — sofern dieses Papier überhaupt zu ergattern ist.

Mißlich hat sich in Lettland ferner der Umstand ausgewirkt, daß bislang keine der örtlichen Papierfabriken in der Lage ist, hochwertiges Zeitungspapier herzustellen. Das auch von lettischen Redakteuren mit einem verzweifelten Stoßseufzer bedachte „Einwickelpapier“ wird zwar im Lande produziert — kostet aber bereits stolze 2000 Rubel pro Tonne.

Ein weiterer Engpaß betrifft die Druckerschwärze — diese wird nämlich zentral für die gesamte UdSSR in einem Betrieb im russischen Torzok hergestellt. Das Unternehmen befindet sich im Besitz der KPdSU; Vertretern der unabhängigen lettischen Presse wurde hier schon bedeutet, daß man sie einer Anweisung aus Moskau zufolge bis zum Ausgang des Schiedsverfahrens nicht beliefern werde. Schließlich gibt es das Problem der Druckplatten: Der bisherige Lieferant in der ČSFR verlangt neuerdings harte Devisen, über die die Redaktionen in Riga nicht verfügen.

Zwar glaubten die lettischen Zeitungsmacher zunächst einmal, einen Silberstreifen am Horizont zu erblicken, als die Regierung ankündigte, sie werde Mitte April eine aus Schweden importierte Druckerei in Betrieb nehmen, doch bereits im Februar erfuhr diese Vorfreude einen gewaltigen Dämpfer. Der Direktor des neuen Pressehauses kündigte nämlich an, man werde zwar alles drucken können, die Redaktionen müßten aber alle Ausgangsmaterialien — Papier, Druckfarbe und Platten — zur Verfügung stellen. Und mit dem „Einwickelpapier“ solle man erst gar nicht anrücken, die moderne schwedische Rotationsmaschine vertrage es nicht.

Angesichts dieser Lage vermag Sarmite Elerte, die Chefin des Auslandressorts der erst im letzten Winter gegründeten unabhängigen Tageszeitung 'Diena‘ eine gewisse Ratlosigkeit nicht zu verbergen: „Wir haben unseren Verkaufspreis bereits von 10 auf 20 Kopeken verdoppeln müssen - und dabei liegt unser Selbstkostenpreis zwischen 27 und 29 Kopeken. Im Augenblick überleben wir mit den Einnahmen aus den Abonnementsbestellungen, aber wie lange können wir das durchziehen? In Litauen greift die Regierung der demokratischen Presse viel massiver unter die Arme, aber hier...“

Zweckoptimismus strahlt hingegen der Chefredakteur des Kulturwochenblatts 'Literatura un Maksla‘, Maris Caklais, aus: „Anweisungen aus Moskau sind die eine Sache; eine ganz andere Sache ist es, wenn man zu dem Betrieb hinfährt und vor Ort verhandelt“. Daß solche Touren auf die Dauer nichts bringen, ist den meisten Zeitungsmachern klar.

Doch vielleicht gibt es noch einen Kompromiß: Wenn die staatliche Schiedskommission die KP als Eigentümer des Rigaer Pressehauses bestätigen würde, wäre sie bereit, wieder unabhängige Zeitungen herzustellen, hieß es aus dem Pressehaus. Zu welchen Konditionen bleibt im Dunkeln. Es ist kaum zu erwarten, daß sie besser sind als vor der Besetzung des Pressehauses.

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