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West-Image und Wurst

■ Erste Agrar- und Lebensmittel-Handelsmesse der FNL/ Bundesernährungsminister Kiechle: „Ostprodukte sind besser als ihr Ruf“

Köln. Die Ostprodukte sind besser als ihr Ruf“, sagt Bundesernährungsminister Ignaz Kiechle und beißt in eine saure Gurke von drüben. „Die schmeckt wie von meiner Mutter.“ Mit dieser bei der ersten Handelsmesse der Agrar- und Lebensmittelwirtschaft aus den neuen Ländern in Köln geäußerten Meinung gehört der CSU-Mann, wie er weiß, „leider noch zu einer Minderheit“ der Verbraucher. Diese bevorzugen nämlich die werbewirksam präsentierten Lebensmittel aus den alten Bundesländern.

1989 hat die Bundesrepublik Agrar-und Ernährungsgüter im Wert von 5,12 Milliarden Mark in das Beitrittsgebiet geliefert. Von dort bezogen wurden Waren für rund 1,33 Milliarden Mark. „Dieses Ungleichgewicht muß weg“, sagt auch Bundeskanzler Helmut Kohl. Er selbst hat unter anderem schon Äpfel aus Ostdeutschland getestet. Kohl fordert mehr solcher Waren in westlichen Regalen. Einen wichtigen Schritt dazu hat die Marketinggesellschaft der Agrarwirtschaft (CMA) mit der Zusammenführung von Erzeugern und Händlern getan. „Wir haben ein bewährtes Konzept“, sagt CMA-Geschäftsführer Antonius Nienhaus.

Die ersten CMA-Gütezeichen „Markenqualität aus deutschen Landen — ständig neutral kontrolliert“ hat der Minister an fünf Ostbetriebe erstmals vergeben. „Mit diesem Signum verbinden Konsumenten das ersehnte West-Image bei Produkten“, sagt Nienhaus.

Das Vorbild aus dem Westen wird in den neuen Ländern nicht immer positiv bewertet. So droht ein Kampf der Westkartoffel „Ackergold“ gegen Ostspezialitäten wie die mehlige „Adrette“ oder „Karat“ und „Liu“. Denen wollen „die Wessis an den Kragen“, heißt es auf der CMA-Handelsbörse. „Unsere Leute sind selbst schuld, denn sie müssen umdenken“, gesteht Hauptgeschäftsführer Walter Natusch vom Kartoffellagerhaus Falkenhain. Kollege Bernd Thalmann vom „Kühra-Kartoffelmeister“ sagt: „Bei uns schmecken Kartoffeln auch nach Kartoffel.“

Den von der Plan- auf Marktwirtschaft umstellenden Agrar- und Ernährungsbetrieben geht es jedoch nicht nur um Kartoffeln. Es sind auch Milchprodukte, Schokolade, Marmelade sowie Spezialitäten wie Baumkuchen aus Salzwedel und Fisch von der Ostsee, die an die Hausfrau oder den Hausmann gebracht werden müssen. Die ostdeutsche Marketingdirektorin Hedda Kreft ermutigt Westbürger: „Seien Sie neugieriger auf traditionsreiche Nahrungsmittel aus den neuen Ländern. Jetzt, wo wir alle Zutaten frei beziehen können, machen wir Spitzenqualität.“

Gute Chancen haben die ums Überleben ringenden Betriebe, wenn sie mit westlichen Unternehmen kooperieren. Wo mit westlichen Verpackungsmitteln, Gold- und Silberfolien sowie Farbetiketten Butter, Käse, Milch, Säfte und scharfe Sachen „aufpoliert“ wurden, steigt der Absatz. Die Thüringer beginnen mit „echten Wurstspezialitäten“ zu werben. Vermarkter von Ostseefisch erklären in der freien Marktwirtschaft: „Tradition ist unsere Verpflichtung“. Und aus der Mark Brandenburg meldet sich der Eiermann: „Es gibt Landschaften in Deutschland, dort werden Hühner gehalten wie eh und je.“

Der Präsident des Bundeskartellamtes, Wolfgang Kartte, fordert in Köln gleichmäßigen Warenaustausch. Die Ossis müßten ihre Produkte in Qualität, Preis und Verpackung noch attraktiver gestalten. Das Kartellamt sei überzeugt, „daß der Rückgang des Angebots ostdeutscher Waren nicht auf Behinderungspraktiken westlicher Unternehmen zurückzuführen war“, sagt Kartte. Ausschlaggebend sei die verständliche anfängliche Vorliebe der Verbraucher für Westwaren und die abrupte Unterbrechung der alten Verteilungsstrukturen gewesen. Ostdeutsche Hersteller sollten rasch die Erfahrung der Wessis beherzigen: In der Wohlstandsgesellschaft ist der Kunde König. Joe F. Bodenstein (ap)

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