: Geistliche Dämmerung
■ Zur philosophischen Geschlechterontologie
Geschlechterontologisches Fragen will die erste, fundamentale Erschütterung des fundamentalen Dualismus zeitigen. Es will einen Keil zwischen die bisher unerschütterliche Dichotomie Natur/Kunst treiben, die ihren Wesensgrund in der platonisch-aristotelischen Metaphysik selbst, mit ihrer geläufigen Zweiteilung Physik/ Poiäsis (Aufgeben/Hervorbringung) besitzt. Es will dabei langsam ein Gespür dafür entwickeln, welche Bewandtnis es damit hat, daß es einen Heraklit, einen Parmenides, einen Platon, einen Aristoteles, Kant, Hegel, Marx und Nietzsche gegeben hat, aber keine einzige Frau, die sich in diese Reihe einreihen könnte, und es will dieses Gespür entwickeln ohne die Anwendung historischer Erklärungstheorien.“
Klarer könnte nicht ausgedrückt sein, was uns Eldred in seinem endophänomenologischen Auslegungsversuch des Wesens des männlichen Wesens des Seins des Mannes (ich, Eldred, bin ein Mann) und einer exophänomenologischen Skizze des fraulichen Wesens des Seins der Frau (ich, Eldred, bin keine Frau) auf knappen zweihundert Seiten zu erläutern versucht.
Der Autor, gebürtiger Australier und seit rund zehn Jahren in Deutschland, demonstriert dabei eine erstaunliche Virtuosität im Umgang mit einer an Heidegger geschulten exakten Sprache. Dennoch ist dieses Buch nicht einfach ein weiterer Lobgesang auf den Meister vom Todtnauberg. Eldred stellt heraus, daß ebenso wie alle Philosophen vor ihm auch Heidegger die Frage nach dem Wesen des Menschen von einem Gemeinplatz der Geschlechtslosigkeit ausgestellt hat. Erst nach einer beträchtlichen Weglänge philosophischen Fragens erfolgt die phänomenologische Aufweisung der Unterschiedlichkeit der Geschlechter, wenn sie überhaupt erfolgt und nicht auf das Faktische der Leiblichkeit reduziert wird. Im Gegenzug dazu unternimmt Eldred einen Versuch, den Weg nach der seinsmäßigen Verschiedenheit von Mann und Frau abseits sexueller, leiblicher oder kultureller Vor-Urteile durch Fragen zu erschließen. Aus diesem Grund steht er nicht im Verruf, ein Patriarchatsapologet wider den Feminismus zu sein. Deswegen ist es sinnverfehlend, wollte mann/frau mit einer landläufigen Lesart an die essentielle Semantik des Begriffs „phallologische Ständigkeit“ herangehen. Viel wichtiger erscheint es Eldred, einer nichtpsychoanalytischen präsexuellen, besser nichtsexuellen Erschließung fraulichen und männlichen Daseins auf die „Fährte“ zu kommen. Dadurch kann er der Annahme und dem Vorwurf des sexuell gestimmten Phallozentrismus entgehen.
Das Sein des Mannes erschließt sich durch die Identität von Eigennamen und Person (nichtpsychologisch) und durch das Anwesen des Mannes im Larve-Kompositum (Persona-Maske-Larve). Seine „Ständigkeit“ weist der Mann durch seine Position in der Lichtung der durch die Öffentlichkeit der Polis tradierten politischen Dimension aus. Hier ist er ein „Wer“. Das phallische Moment des Aufschwellens oder Aufblähens des Mannes in der Polis hat hier seinen Ort und nicht in der Leiblichkeit oder Physiologie des männlichen Genitals.
Durch die ontisch gegebene Begegnung des Seienden im Mitsein erfährt der Mann das Sein „der Anderen“, deren Dimension die der Kallosyne (Schönheit) ist. Damit ist das Zusammentreffen der Geschlechter nicht auf den Primat einer triebgeleiteten Entdeckung eines anderen Seienden reduziert. „Die frauliche Schönheit weckt in ihrem anziehenden Entzug das Verlangen nach der Unständigkeit, die der Mann als ständiges Wesen nicht ist.“
Die „Ant-Wort“ zum Phallus und dessen Wahrheit ist die „Höhle“, die wiederum in Eldreds Verständnis nicht die zeugungsanatomische Entgegensetzung des Penis als Symbol darstellt. Im Wesensstreit untereinander geben sich Phallus und Höhle ihre Wahrheit preis. Obwohl diese Sentenz schon früher, bei Sartre in dessen Tagebüchern von 1939 bis 1940 an-gedacht wurde, geht Eldred mit einer nichtvitalistischen, von der psychoanalytischen Interpretation befreiten Form mit diesem Thema um. Dem folgt der Gedanke einer Speläonautik, die den Weg des Erfahrens einer nichtphallischen Wahrheit ankündigt. Hier läßt sich die Möglichkeit anbahnen, das andere Geschlecht in seinem Wesenszusammenhang zu entdecken, ohne aus dem Geschlechterstreit in den Geschlechterkampf zu verfallen. Geschlechterstreit positiv zu verstehen, ist unter dem Walten eines „sanft auseinandersetzenden Verhältnisses zwischen Weib und Mann“ möglich. Eldred konstatiert: „Aus der Umfängnis erblicken die Beiden die ,Bläue der geistlichen Dämmerung‘, denn beide werden vom Ereignis als Denkende und Schaffende gebraucht. Die Frau als Mitleidende der Seinsgeschichte weicht zurück zugunsten der umfänglichen Frau einer anderen Geschichte, die sie sowohl stehen als auch schwanken läßt. Auch der Mann wird aus der allzufesten Ständigkeit entlassen, damit er das Spielen lernt.“
Jörg-Dietmar Gersdorf
Michael Eldred: Der Mann. Geschlechterontologischer Auslegungsversuch der phallologischen Ständigkeit. Verlag Haag+Herchen, 202 Seiten,
29,80 DM
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