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Jedenfalls keinen Klassiker

Über das junge französische Kino und wie man es produziert. Ein Gespräch mit Christian Vincent und Alain Rocca, dem Regisseur und dem Produzenten von „Die Verschwiegene“  ■ Von Gerhard Midding

Gerhard Midding: Monsieur Vincent, was war Ihr Ausgangspunkt für „La Discrète“? War es die Konfrontation zwischen der Titelfigur und einer klassisch indiskreten Figur, einem dilettierenden Schriftsteller?

Christian Vincent: Es geht um zwei Individuen, die sich ganz unterschiedlich zur Sprache verhalten. Antoine verkörpert ein eher maskulines Prinzip, er ereifert sich über Ideen, Vorstellungen und hat einen Hang zur Lüge. Catherines Domäne hingegen ist die Wahrheit, sie sagt die Dinge nur für sich selbst, nicht weil sie etwas mit ihnen bezwecken will. Der Film erzählt die Geschichte einer Erfahrung, die durch diese Konfrontation ausgelöst wurde.

Der Film funktioniert ein wenig nach dem Drehbuchprinzip der amerikanischen „screwball comedies“ aus den dreißiger Jahren.

Alain Rocca: Ja, es geht um ein „unmögliches Paar“: eine bewährte Komödienkonvention.

Ausgehend von der Grundsituation, welcher Aspekt interessierte Sie am stärksten: die Idee der Intrige, der Manipulation, das Tagebuch Antoines oder aber seine Freundschaft zu Jean?

Christian Vincent: Der Film ist für mich ein Ensemble, und ich insistiere nicht auf einem bestimmten Punkt. Das Tagebuch beispielsweise schien mit unverzichtbar, ebenso wie man ohne eine Leinwand und Pinsel keinen Film über einen Maler machen könnte. Das Wichtigste für mich war jedoch zu sehen, wie die Figuren sich in den Grenzen, die wir ihnen gesteckt haben, entwickeln.

Diese Freundschaft zwischen Antoine und Jean ist schon merkwürdig. Sie ist sehr eng, und gleichzeitig bleibt das Wesen dieser Beziehung unklar und verworren. Sie ist ganz offensichtlich enger, als es üblich ist zwischen einem Autor und seinem Herausgeber. Jean ist etwa dreißig Jahre älter, es geht also auch um zwei völlig verschiedene Generationen, und es wäre möglich, daß sie ein Vater-Sohn-Verhältnis haben. Als Jean-Pierre Ronssin und ich am Drehbuch arbeiteten, fragten wir uns, ob Jean vielleicht homosexuell ist und dies verdrängt. Auf alle Fälle gibt es in seiner Welt keine Frauen. Das findet man in der kleinen, engen Welt der Buchläden und Antiquariate des Quartier Latin sehr häufig. Zu achtzig Prozent werden sie von Männern frequentiert. Das Milieu der Bibliophilen ist ausgesprochen maskulin und misogyn, Frauen haben da so gut wie keinen Platz.

In ihren gemeinsamen Szenen scheinen Sie das Prinzip der Diskretion auch dadurch ständig zu verletzen, daß Jean und Antoine nie allein sind, wenn sie ihre Verführungsstrategie besprechen.

Christian Vincent: (lacht) Nun, wir hatten das Problem, daß die Dialogszenen sehr lang waren. Im Drehbuch waren sie sogar noch länger, da gab es noch ganz andere Szenenentwicklungen. Außerdem war der Laden, in dem wir drehten, sehr begrenzt, und ich wollte ihn ein bißchen mit Leben erfüllen. Als ich das Buch mit den Schauspielern las, bemerkte ich, daß es viel interessanter ist, wenn Jean und Antoine flüstern: Augenblicklich wird man neugierig, und es verstärkt den Eindruck, daß beide über geheimnisvolle Dinge reden und unter sich sein wollen. Da war es natürlich gut, daß jemand im Hintergrund sitzt, wie etwa Jeans Gehilfe Manu, der Buchdeckel klebt und dann aufhorcht, als die beiden Pläne schmieden. (lacht) Solch eine Idee umzusetzen, ist oft nicht ohne Tücke, denn man möchte nicht, daß die Figur im Hintergrund den Hauptfiguren die Schau stiehlt. Aber sie soll etwas beitragen. Da half uns die Figur des Manu sehr. Gehilfen wie ihn gibt es viele in diesen kleinen Buchläden, sie gehen dem Besitzer zur Hand und vertreten ihn, sie verschicken Kataloge an die Kunden in der Provinz etc. Und da Jean jemand ist, der nichts über sich erzählt, konnte Manu an seiner Stelle etwas über ihn sagen.

Monsieur Rocca, Sie haben mit „La Discrète“ und „Un monde sans pitié“ (Eine Welt ohne Mitleid) zwei bemerkenswerte Erstlingsfilme produziert, die um ganz ähnliche Themen kreisen: Narzißmus, Misogynie, die Weigerung, zu lieben...

Alain Rocca: (fast gleichzeitig mit Christian Vincent) Eher die Unfähigkeit, zu lieben! Diese Parallelität der Themen... Ich denke, dazu sollten Sie wirklich eher die Filmemacher befragen und nicht mich als Produzenten. Denn ich arbeite mit Personen, die mich interessieren, ich produziere nicht Werke. Als Christian Vincent und Eric Rochant mir ihre ersten Filme anvertrauten, habe ich mich für sie entschieden, nicht für ihre Stoffe. Wie alle Welt frage ich mich natürlich: Woran liegt es, daß die Erstlingsfilme von zwei Regisseuren, die ganz offensichtlich zu den besten ihrer Generation gehören, derart viele Gemeinsamkeiten besitzen? Obwohl sie nach meiner Ansicht noch erheblich mehr Unterschiede aufweisen! Aber ich denke, daß beide einer Generation angehören, der es wichtig ist, sich Klarheit zu verschaffen. Für beide gilt auch, daß sie eine gewisse... ich will nicht sagen: Bescheidenheit, denn das ist das falsche Wort, aber Selbstbeschränkung pflegen. Sie beschäftigen sich mit einem Gegenstand, den sie gut kennen, und zwar nicht nur aus Medien, Literatur oder Kino. Ich finde, daß die Anmaßung im Kino großen Schaden angerichtet hat. Die Anmaßung, vorzugeben, fähig und auch legitimiert zu sein, von Dingen zu erzählen, von denen man nichts versteht, oder die man letztlich nur aus dem Kino kennt.

Nun scheint mir „La Discrète“ aber doch in einer anderen Epoche zu spielen: Antoines Existenz, sein Beruf, die literarischen Anspielungen, all dies verdichtet sich zu einem Netz der Anachronismen. Der Film könnte auch im 18.Jahrhundert spielen.

Christian Vincent: Sie haben recht. Der Film scheint aus zwei Teilen zu bestehen: der sehr altmodischen Welt der Buchläden im Quartier, in der Antoine sich bewegt. Aber Catherine ist eine Figur aus der Gegenwart. Ich glaube allerdings, daß ich weniger als andere Filmemacher meiner Generation in der Lage bin, der Gegenwart und Moderne nachzuspüren. Natürlich schiebt sich meine Alltagsrealität in meine Filme ein, aber das geschieht eher unbewußt.

Sie haben die Rolle des Antoine für Fabrice Luchini geschrieben. Was denken Sie, hat ihn mehr interessiert, und was fiel ihm leichter: das Spiel, die Täuschung oder die wirklichen Gefühle?

Christian Vincent: Er kann das eine ebensogut wie das andere spielen. Vor allem hatte er keinerlei Schwierigkeiten, die fiese Seite Antoines zu verkörpern! (lacht schallend) Er hatte einige Angst davor, jemanden zu spielen, der ihm zu sehr ähnelte, er wollte keine Rolle, die ihm auf den Leib geschrieben ist. Er wollte gewisse Dinge zum ersten Mal tun. Und er hatte Angst, daß man gewisse Charaktere in der Rolle wiederfinden würde, die er schon gespielt hat, beispielsweise in den Filmen Rohmers. Vor allem seit er Theater spielt, hat er Geschmack daran gefunden, unterschiedliche Charaktere zu verkörpern.

Antoines Gang, ist das eigentlich Luchinis eigene Art zu gehen, oder hat er sie damit überrascht?

Christian Vincent: Oh, das ist tatsächlich sein eigener Gang! Er mag etwas verweichlicht wirken, aber ist dabei sehr zielstrebig. Er spielt eine verwirrende, vielleicht gar berunruhigende Figur, und das zeigt sich auch in der Art, wie diese Figur geht: Antoine hat immer mehr als eine Sache im Sinn.

Die Dialoge wirken „très écrit“, sehr präzise ausgearbeitet, und dennoch...

Christian Vincent: Oh ja, ich habe sie so geschrieben, daß sie wenig mit der Sprache zu tun haben, die man tagtäglich auf der Straße hört. Ich bin sehr für ein Kino, das die Sprache neu entdeckt.

Und dennoch geht es weniger darum, was gesprochen wird, sondern vielmehr, daß gesprochen wird. Wie Solange, Antoines Ex- Freundin über ihn sagt: Nach einer Weile hört man ihm gar nicht mehr zu, weil er unablässig spricht.

Christain Vincent: (lacht)

Alain Rocca: Aber Fabrice ist so! Er hat eine ungeheuer starke Beziehung zum Wort.

Er scheint vor allem der Sprachmelodie zu folgen, das scheint ihn am meisten zu beschäftigen bei der Intonation, gar nicht so sehr der Inhalt des Dialogs.

Alain Rocca: Genau. Wenn Sie mit ihm essen gehen, spricht er die ganze Zeit. Aber das schockiert niemanden, denn er erzählt kluge und hellsichtige Dinge. Es ist ein Vergnügen, zuzuhören, denn er jongliert meisterhaft mit Worten. Ich kenne niemanden, der ein derart inniges Verhältnis zu Worten hat!

Fernsehauftritte von ihm sind einfach unglaublich! Er legt sich mit jedem an und redet ihn an die Wand. Auf Canal Plus haben wir einen ziemlich berüchtigten Moderator, Antoine de Cohen, der aggressiv und reichlich boshaft mit seinen Talk- Gästen umspringt. Aber Fabrice steckte ihn in die Tasche, er war sprachlos, einfach übermannt.

Wollten Sie dem am Ende mit der Off-Stimme Einhalt gebieten, die den Film abschließt? Oder wollten Sie die Perspektive auf die Figur leicht verändern?

Christian Vincent: (lächelt)

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Nicht unbedingt, weil er gegen Ende des Films ja auch immer weniger sagt. Die Figur macht diese Entwicklung durch, eine richtige Umkehr. Ich wollte, daß man ihn am Ende etwas nachdenklich sieht: Er reflektiert über eine Situation, die sich verändert hat. Er führt ein Tagebuch in etwas geänderter Form fort, er zieht gewisse Schlüsse. Und er erinnert sich an etwas, das an diesem Platz vor zweihundert Jahren Restif de la Bretonne widerfahren ist. Und das letzte Wort, das man von ihm hört, ist „Liebe“. Die Off-Stimme hatte ich zunächst gar nicht vorgesehen. Ich sah die Szene und hatte das Gefühl: Danach muß noch irgend etwas folgen. Ich glaube, ich hatte am Ende auch Lust zu experimentieren. Ich wollte zeigen, daß er noch ganz in der Erinnerung an diese Geschichte versunken ist und deshalb auch nicht das wunderhübsche Mädchen sieht, das ins Café kommt. Er bemerkt sie gar nicht, dabei ist sie „sublime“!

Monsieur Rocca, vermutlich nehmen Sie wenig Einfluß auf die Konzeption des Films, sobald Sie sich für einen Filmemacher entschieden haben.

Alain Rocca: Ich habe Vertrauen zu den Regisseuren, kümmere mich um die ökonomische Seite, stelle Mittel zur Verfügung. Das Resultat ist per se eine Überraschung für mich, und ich kann entweder stolz darauf sein oder nicht. Wenn der Film gut in den Kinos läuft, bin ich nachher reicher, wenn nicht, ärmer!

Stellen Sie sich damit bewußt in die Tradition der großen Produzenten wie Pierre Braunberger oder Georges de Beauregard, deren Bedeutung für den Autorenfilm ja bislang sehr unterschätzt wurde?

Alain Rocca: Meine Gründe, in diesem Metier zu arbeiten, waren von Anfang an recht einfach: Ich besaß den Wunsch dazu, ich bin stolz auf die Filme, vielleicht wollte ich auch eine gewisse Bekanntheit erlangen in diesem Beruf. Das Geld ist nicht so entscheidend, es gibt viele Berufe, in denen man mehr verdienen kann. Ausgehend davon habe ich mich gefragt: Auf welche Weise kann ich das Metier am besten ausüben? Ich sagte mir, in dem ich Filmemacher finde, deren Existenz notwendig ist. Erst später habe ich entdeckt, daß Braunberger, Silbermann, Mnouchkine und andere ähnlich gearbeitet haben.

Während der letzten zehn Jahre hat man diese — wie ich finde — noble Art des Produzierens vergessen. Auf verschiedenste Weise ist sehr viel Geld ins Filmgeschäft eingeflossen, und man hat sich vor allem um bekannte Größen bemüht, damit dieses Geld Profit abwirft, man hat nach Namen gesucht, die Fernsehkontakte und -verkäufe garantieren etc. Deshalb gibt es nun sehr viele Filmemacher, deren Existenz mir in kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht nicht notwendig erscheint. Es sind einfach nur Leute, die die Maschinerie in Gang halten.

Monsieur Vincent, die Liste der Vergleiche und literarischen Verweise, mit der man „La Discrète“ bedacht hat, ist überaus lang: Sie reicht von Marivaux über Stendhal zu Guitry, auch zu Rohmer und Truffaut. Sind Sie glücklich darüber, oder empfinden Sie das als eine Hypothek für Ihren Film?

Christian Vincent: Weder noch. (lacht)

Alain Rocca: Na, Marivaux und Stendhal, da bist du doch in bester Gesellschaft!

Christian Vincent: Natürlich ist mir das nicht peinlich. Schließlich hat mich die Lektüre vieler Autoren beim Schreiben des Buches beeinflußt. Und es schien mir auch schlüssig, den Film mit Anspielungen und Zitaten anzureichern, denn das entspricht einfach der Figur des Antoine: Er ist jemand, der zitiert. Sonst sind Zitate eher hinderlich in einem Film.

Ist das auch der Grund, weshalb man nicht sieht, welchen Film sich Antoine und Catherine anschauen? In jedem Film der Nouvelle vague wäre das als Hommage zelebriert worden.

Christain Vincent: (lacht) Stimmt.

Und welchen Film schauen sie sich nun an?

Christian Vincent: (lacht) Ich habe keine Ahnung... Sie fand ihn gut, er ist nicht überwältigt... Ich denke, sie haben sich einen Film von Bresson angeschaut. (lacht schallend)

Alain Rocca: Ich glaube, sie haben „Tante Danielle“ gesehen.

Christian Vincent: Jedenfalls keinen Klassiker.

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