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„Wir sind doch keine Arschlöcher!“

■ Kurt Seibert, Fachbereichssprecher der Musikhochschule, reagiert auf die Angriffe gegen sein Institut

„Was will man hier ohne Holzbläser machen, ohne Blechbläser, ohne Schlagzeugprofessur? Wie will ich da Neue Musik machen? Und das wird einem dann gern als konservativ angekreidet...“ Man hat's nicht leicht als Fachbereichssprecher der kleinsten deutschen Hochschulabteilung, der Bremer Musikhochschule am Osterdeich. Einerseits kennt Kurt Seibert (Klavierprofessor) die Mißstände zu gut (“Ich habe einen begabten Sohn, den würde ich hier nicht studieren lassen“); andererseits gilt es, Ruf und Namen der Schule zu schützen.

Die sind in Gefahr. Seit Wochen wird die Musikschule in der Lokalpresse angeschossen. Munitionslieferant unter anderen: Jürgen Waller, Chef der Kunsthochschule, der die Musiker angegliedert sind. Hintergrund: Ein Top-Flötist bewarb sich auf eine vakante Blockflötenprofessur (Han Tol), wurde von der Musikschule aber ignoriert (taz vom 24.4.) Die schlug dem Senator drei andere vor, welche dieser alle zurückwies. Ein Eklat. Han Tol hat einflußreiche Freunde in Bremen wie den Leiter der privaten „Akademie für Alte Musik“, Thomas Albert. Seibert: „Der Senator hört auf Albert.“

Die Musikschule, bestückt mit schlecht bezahlten durchschnittlichen Leuten, wolle keine Top- Leute in ihren Reihen, schimpfte es. Und der Komponist Erwin Koch-Raphael zur taz: „Kaum gute Leute da „; keine „überregionale Ausstrahlung“; bedeutungslose Lehrer, die über die Einstellung von guten Leuten befinden; Konzeptlosigkeit.

„Wir kämpfen seit Jahren darum, daß der Koch-Raphael hier unterrichtet“, kontert Seibert. (Für Komposition gibt's keine Professur.) Doch der arbeite lieber an der Uni (14 Wochen pro Semester) als am Osterdeich (17 Wochen pro Semester). „Er sträubt sich mit Händen und Füßen dagegen.“ D.h. mit Rechtsanwalt. Und die Spitzenleute von außerhalb? Kriege man mit einem Professorengehalt nicht her, verdienten pro Abend 5 — 10.000 Mark. Han Tol sei gut, aber die Berufungskommission habe immerhin auch eine ARD- Preisträgerin vorgeschlagen.

Daß Neid der armen alten C2-Professoren gegenüber neuen bedeutenden C4-Stars (Unterschied etwa 700 Mark) eine Rolle spiele, sei falsch. Seibert: „Wir sind doch keine Arschlöcher! Wir sind davon abhängig, daß der Fachbereich anerkannt ist.“ Allerdings gibt er zu bedenken: „Bremen ist kein Standort für internationale Karrieren. Wir wollen eine funktionsfähige Ausbildung für Orchestermusiker, Kirchenmusiker und Musiklehrer.“

Die Kritik Koch-Raphaels, daß — „ein typischer Fall“ — Hans- Joachim Hespos, „führender Komponist“, vom Fachbereich Musik nicht gewollt werde, weil er keine Noten schreiben könne, hält Seibert für Quatsch. „Wir konnten überhaupt noch keine Stelle ausschreiben, es hat sich noch keiner damit befaßt.“

Je kleiner Bremen, desto doller die „Schlammschlacht“. Hinter den Kulissen alte Gräben. Das „Musikfest“ 1989, vom Senat in Auftrag gegeben und von Thomas Albert finanziert, wurde seinerzeit von der lokalen Musikszene heftig befehdet. In vorderster Front: Seibert. Schon damals der Konflikt: Das wenige vorhandene Geld entweder in Highlights stecken oder vielen zugute kommen lassen, auf kleinerer Flamme gekocht.

Vielleicht ist der gegenwärtige Streit erst der Anfang. Denn daß sich im Musik-Fachbereich etwas tun wird, ist außer Frage. Neben versprochenen 5 neuen Professorenstellen sind in diesem Jahrzehnt noch acht weitere Stellen wegen Ruhestands neu zu besetzen. Das heißt, die Schule wird ein neues Gesicht bekommen. Doch welches? Bus

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