: Wie sieht der Regierungssitz Berlin im Jahre 2006 aus?
ZUKUNFTSANGST& K O H L O P H O B I E Wie sieht der Regierungssitz
Berlin im Jahre 2006 aus?
Hanneliese Brandt, Tabakladenbesitzerin
Wie Berlin im Jahr 2006 aussehen wird, kann ich nicht sagen. Na ja, da drüben im Osten müssen sie wohl noch viel abreißen und viel tun. Zum Beispiel in der Leipziger Straße, diese ganzen scheußlichen Bauten... Ich wohne in Friedenau, und weiter will ich eigentlich nicht raus. Uns war ja allen klar, daß Berlin nicht schon in drei oder vier Jahren Hauptstadt sein würde. Und wenn jetzt viel nach Berlin kommt, dann kann das nur gut sein für die Stadt. Ich habe auch nichts dagegen, daß die Regierenden herkommen. Ob ich Herrn Kohl irgendwie besonders bedienen würde? Na ja, der ist so zielstrebig, der wird sich schon eine Zeitung nehmen. Und gegen Herrn Kohl als Nachbarn hätte ich überhaupt nichts.
Alwin Nachtweh, Straßen-
verkäufer am Checkpoint
Wie Berlin dann aussehen wird, das weiß der Teufel! Aber es wird allgemein sicherlich negativer werden, wenn auch aus geschäftlicher Sicht eher positiv. Ich denke, es wird einfach keine Szene mehr geben, sondern nur noch Busineß. Außerdem fürchte ich, daß das übliche Beton- dong-dong angesagt ist. Und wenn hier jetzt der Herr Kohl vorbeikäme, dann würde ich ihm erst mal sagen, daß es hier am Checkpoint keine öffentlichen Toiletten gibt. Außerdem könnte ich mich langsam mal bezahlen lassen vom Berliner Informationsbüro oder so. Ständig kommen hier Leute: Wo war die Mauer? Wo ist der Osten? Aber dem Kohl würde ich sagen, er soll sich einen Saumagen kochen und uns in Ruhe lassen.
Gerald Schollmeyer, Fahr-
stuhlführer im Fernsehturm
Ich denke, Berlin wird fortschrittlicher werden. Wenn hier allerdings nicht der Regierungssitz wird, werden wir das Armenhaus Deutschlands sein. Bis jetzt wohne ich noch in Prenzlauer Berg. Wenn ich es mir leisten kann, werde ich da wegziehen, aber nicht wegen der neuen Nachbarschaft mit den Regierenden. Herrn Kohl persönlich auf den Fernsehturm zu fahren, wäre schon eine Ehrung für einen als Aufzugsführer, so einen hohen Gast hochzuführen. Das hatten wir ja auch früher schon, und ich sitze seit vier Jahren hier. Als der Gorbatschow in Berlin war, sollte er auch hochfahren, da hab ich mich extra zur Frühschicht einteilen lassen. Dann ist er doch nicht gekommen...
Dieter Schadow, Taxifahrer
Ich rechne mir schon unheimlich was aus, daß Berlin Olympiastadt wird zum Beispiel, daß das eine gute Sache wird und was einbringt... aber konkret? Kann ich nicht sagen, wie das im Jahr 2006 aussehen wird. Ich denke, Berlin muß erst mal Zeit haben, sich zu entwickeln als Gesamteinheit und so. Ob die Regierung aus Bonn nach Berlin zieht, ist mir egal: ich werde da wohnen bleiben, wo ich jetzt wohne, direkt am Tierpark Friedrichsfelde. Und wenn ich Kohl als Nachbarn hätte, na ja, er müßte sich führen wie jeder andere Bürger. Natürlich würde ich Herrn Kohl oder Herrn Genscher im Taxi fahren, das sind ja Menschen wie jeder andere auch. Aber besonders gerne? Weiß ich nicht...
Susanne Raths, Gemüse-
verkäuferin am Alex
Ich fürchte, Berlin wird noch moderner, noch utopischer, es werden mehr Hochhäuser gebaut. Außerdem gibt es dann bestimmt noch mehr Autos, noch mehr Straßen. Ich wohne am Prenzlauer Berg, in einer schönen alten Wohnung — aber wenn das hier schlimmer wird, werde ich wahrscheinlich weiter rausziehen. Ich bin auch nicht erpicht darauf, den Regierenden auf der Straße zu begegnen. Also wegen mir könnte Berlin so bleiben. Ich will gar nicht, daß die Regierung hierherzieht. Wenn die hier alle auch noch wohnen wollen! Und Herrn Kohl möchte ich hier sowieso nicht. Berlin ist groß genug, voll genug... Umfrage: Karen Pfundt, Fotos: Marco Limberg/ G.A.F.F.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen