piwik no script img

Wuchermieten für brave Handwerker

■ Bund der Selbständigen kritisiert explodierende Gewerbemieten in Ost-Berlin/ KFZ-Meister soll plötzlich 187.000 Mark zahlen

Berlin. Um sage und schreibe dreiunddreißigtausenddreihundert Prozent (33.300) erhöhte Ende März die Reichsbahndirektion Berlin dem Ostberliner Automechanikermeister Horst Star, die Jahresmiete. Und dies rückwirkend zum 1. Januar 1991. Horst Star traf vor Schreck fast der Schlag. Erst vor drei Jahren erhielt er einen Lagerplatz auf dem Reichsbahngelände am Bahnhof Rummelsburg zugewiesen. Bebaut war das Grundstück mit einem unbewohnbaren Kleinhaus, einem verfallenen Werkstattgebäude sowie zwei Schuppen. Star kaufte die Immobilien und baute sie zu einer KFZ- Werkstatt um. Für die Nutzung des Grundstücks zahlte er der Reichsbahn eine Jahresmiete von 560 Mark. Vor drei Wochen teilte die Reichsbahndirektion dem Handwerksmeister mit, daß die Miethöhe entsprechend ortsüblicher Mietsätze auf ihre Angemessenheit überprüft wurde und daß der neue Preis jährlich 186.732 Mark betrage.

Der Bundesverband der Selbständigen (BDS) stellte gestern vor Journalisten diese Horrorgeschichte als »krassen« aber nichtsdestoweniger »exemplarischen« Fall für die Wildwestmethoden in den neuen Ländern vor. Wuchermieten von meist öffentlichen Grundstücks- und Gewerbeeigentümern, Knebelungsverträge der Treuhand bei der Übertragung von Gaststätten und Handelsbetrieben und deutliche Zurückhaltung öffentlicher Auftraggeber bei der Vergabe notwendiger Investitionsvorhaben würden die neugegründeten Unternehmen zu Tausenden in die Pleite treiben.

1990 meldeten in den neuen Bundesländern 15.000 Mittelständler ihr Unternehmen ab, berichteten BDS- Vertreter. Alarmierend sei, daß sich die Zahl der Abmeldungen jeden Monat verdoppele. Alleine in diesem Jahr seien es schon 10.000 Betriebe mit rund 25.000 Arbeitsplätzen. Oft sei pure Sorglosigkeit der Grund für Betriebsschließungen: »Bei vier Imbißbuden an einer Ecke sind drei zuviel«, sagte BDS-Präsident Sick. Zumeist sei der tiefere Grund aber in den fehlenden ordnungspolitischen Rahmenbedinungen für den Mittelstand zu suchen. Bei Betriebsübernahmen würden völlig überhöhte Firmenwerte angesetzt. Ein Berliner Fernsehhändler hätte in seinem mit 300.000 Mark bewerteten Warenlager unverkäufliche Geräte aus DDR- Produktion gefunden. Jedes Gerät sei mit dem früheren Einkaufspreis von 5.000 Mark bewertet worden. Die Gewerbemieten würden auf »Weltrekordniveau« angehoben, sagte der Ostberliner BDS-Vertreter Froese. Leuchtendes Beispiel dabei seien ehemalige Neue-Heimat-Manager. Der 1983 wegen Subventionsbetruges verurteilte ehemalige Prokurist Gerhard Becker sei heute Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft in Lichtenberg und treibe Kleinunternehmen mit rücksichtlosen Mieten ins wirtschaftliche Aus. aku

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen