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Zum Stahlerweichen

■ Oberliga Nordost: FC Berlin — Stahl Brandenburg 1:0

Prenzlauer Berg. Ganze 1.043 Zuschauer waren zum Spiel des FC Berlin gegen Stahl Brandenburg erschienen, dabei hätten es, durch großzügige Auslegung der Kleiderordnung, durchaus noch fünf mehr sein können — so aber mußte das Stahlkappenschuhe tragende Skinhead-Quintett aus Brandenburg mit vor Enttäuschung zitternden Mundwinkeln („und dann kann es sein, daß auch ein Mann einmal weint“, U. Jürgens) leider draußen bleiben. Dabei war Großartiges angekündigt: Stahl wollte, erstmals seit sieben Jahren, in Berlin siegen, die Berliner ihrerseits waren fest entschlossen, zum ersten Mal in dieser Rückrunde zu Hause keinen Punkt abzugeben. Den Heimkomplex der Ex-Dynamos kennend, befürchteten Teile des Publikums schon eine 9-2-Taktik (9 ins Tor, 2 bleiben vorn und foulen), aber beide Teams versuchten wenigstens, in die gegnerische Hälfte zu gelangen. Die größeren Chancen allerdings hatten in der ersten Halbzeit die Brandenburger — Glück für Berlin, daß seine Nummer 3, Burkhard Reich (bei Karlsruhe im Gespräch), viele Stahl-Aktionen vorauszuahnen schien. Den Rest erledigte Torhüter Valov. Aber Tore verhindern reicht halt nicht, man muß schon selber welche schießen— aber weil der FCB unbedingt mit dem Fuß durchs Mittelfeld wollte, blieben seine Angriffe erst mal wirkungslos. Die ganze Tristesse eines schlechtbesuchten Nachbardörfer-Duells breitete sich aus. Von wegen, „wo wir sind, ist oben“ — wo wir sind, ist sonst überhaupt keiner... Den FC-Fans blieb nur noch, das Spielgeschehen schönzureden (Paß ins Aus — „schön den freien Raum erkannt!“), und großen Beifall erntete auch ein die Aschenbahn entlangrasender Hase...

Das gesteckte Ziel des FCB, der zur Teilnahme an der Relegation zur 2. Liga berechtigende 2. Platz, schien ernsthaft in Gefahr, führte doch der bloß einen Punkt schlechtere Konkurrent aus Cottbus zur Halbzeit mit 1:0 gegen Magdeburg... Es mußte also etwas geschehen, und das verdammt schnell. Kurz nach dem Wiederanpfiff konnte Stahl-Torhüter Detlev Zimmer einen Schuß von Backs (bei Hertha im Gespräch) gerade noch über die Latte lenken, und auf beiden Seiten begann man jetzt, neben oder übers Tor zu schießen. Der Verdacht wurde laut, daß beide Mannschaften bei den Fußballübertragungen der letzten Woche Fernsehverbot hatten.

Dann aber, in der 73. Minute, faßte sich Heiko Bonan (bei Bochum im Gespräch) ein Herz und zog aus 25 Metern beinahe unhaltbar ab, Tor! Und das bißchen Publikum raste vor Begeisterung...

Die hielt allerdings nicht lange vor, denn die Brandenburger hatten noch lange nicht aufgegeben, versagten allerdings, selbst völlig frei vorm Berliner Tor stehend. Und weil die Geschichte eines Fußballspiels auch immer die Geschichte menschlichen Leidens ist, trat nach dem Abpiff ein schwer mitgenommener Brandenburger Trainer vor die Presse: „Ich bin deprimiert“, sagte Eckhard Düwinger und „Es hat nicht am Wollen gelegen!“, aber keine Punkte sind eben keine Punkte. Nicht viel fröhlicher zeigte sich FCB-Trainer Bogs: „Ich bin mit dem Sieg natürlich zufrieden. Das ist aber auch schon alles!“ Wie der auf der Tribüne anwesende Schalke-Präsident Eichberger das Spiel sah (und was oder wen er in Berlin wollte), blieb ein Geheimnis. Vielleicht würde insgesamt etwas mehr Frohsinn bei den Berlinern herrschen, käme es zu einem Coming-out der FC-Fans. Elke Wittich

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