: Flieg weg!
Die Flowerpornoes sind auf Tournee. Ein Interview mit Tom G. Liwa ■ Von Tobias Levin
Tom G. Liwa, Sänger, Gitarrist und Songschreiber der Duisburger Flowerpornoes, will nicht mit der Bitterkeit auftreten, die seinem derzeitigen Karriereknick entspräche. Ein Symptom deutscher Independent-Musik Anfang der Neunziger: selten konsensfähig genug, um dem einst zuständigen, nun umsatzkranken 'Spex‘-Magazin eine gefüllte Tanzfläche zu schenken. Zu wenig bemittelt, sich gegen die Agenturpromotion der Industrie einem größeren Publikum empfehlen zu können. Und seit Majorkonzerne erstmals nach der Neuen Deutschen Welle wieder ehemalige Independents-Bands wie M. Walking on the Water oder Rausch für erfolgreiche, wenn auch künstlerisch zweifelhafte Experimente nutzen, gibt sich auch die Kritik sportlich: An großen Plattenverträgen für die Besten sei nichts Schlechtes.
Die Musik auf dem dritten Flowerpornoes-Album „As trivial as live and death“ ist neu und steht selbst gemessen am bundesweit von 'Zeit‘ bis 'Spex‘ umjubelten 87er-Debüt Flowerpornoes einzigartig da. Aber heute übergehen auch meinungsmachende Indie-Zeitschriften deutsche Independent-Musik und versuchen sich lieber an auflagensteigernden Massentanzthemen oder nehmen gleich Jim Morrison aufs Cover (so die neuesten Ausgaben von 'Musik Express‘, 'Tip‘, 'Spex‘). Das müßte sich ändern, um mehr von Gruppen wie Flowerpornoes, Kolossale Jugend, Abwärts oder Blumfeld hören zu können.
taz: Wie wurde „As trivial as live and death“ aufgenommen?
Tom G. Liwa: Wie die vorherige Mini-LP Pumpkin Tide auch. Die gleichen, meist guten Reaktionen. Mit dem Unterschied, daß viele sich inzwischen fragen, warum mit der Band nicht mehr passiert als bisher.
Fragen sich so etwas nicht Journalisten, denen zur eigenen Lieblingsband kaum Neues einfällt?
Nein, so etwas kommt von Leuten, denen es ähnlich geht wie mir bei einer Dylan-LP: Schulterklopfen, daß er ganz der alte geblieben ist und sich andererseits verändert und gemacht hat. Mich ärgert auch nur, daß nicht 20.000 Leute diesen Bezug haben.
Wollen die Flowerpornoes sich so etablieren? Platten veröffentlichen, bis neben der eigenen auch eine Biographie von Hörern entsteht, die von der ersten bis zur letzten LP alles miterlebt haben? Klingt nach durchhalten.
Durchhalten klingt mir zu fatalistisch. Ich halte das für eine organische Entwicklung. Vorausgesetzt, der Hörer ist überhaupt bereit, in einen fremden Kontext einzutauchen. Für die meisten stellt sich dieses Problem überhaupt nicht. Die hören Musik, wenn es regnet.
Und warum empfindet es nun nicht einmal mehr die neue 'Spex‘- Redaktion als zwingend, über die neuen Flowerpornoes zu schreiben?
Weil die sich nicht mehr auf den Kontext einlassen. Ich habe mir zwar schon überlegt, ob man sie nicht zwingen könnte. Aber ich weiß nicht, wie mir eine Platte gefallen würde, die ich für die derzeitige 'Spex'-Redaktion mache. Als wir 1987 unser Debüt rausbrachten, hatte ich mich ja als vollkommen frei interpretierbares Bild präsentiert. So konnte sich Diedrich Diederichsen im Artikel sein Flowerpornoes-Bild basteln. Ich will jetzt nicht dirigistisch, aber deutlicher werden: Ein Baum, der organisch wächst, verliert seine Naivität. Na, ein Baum vielleicht nicht, aber ein Mensch.
Mir fallen dabei die vielen Tierbilder, vor allem in den Texten der neuen LP, ein.
Eigentlich müßte ich von diesem Teddybär-Infantil-Image wegkommen, aber ... das sind ja im seltensten Fall Kuscheltiere. Wenn in Liebe macht die Welt sich drehen der Tiger fragt: „Was soll ich tun?“, antworten die kleinen Vögel: „Flieg weg!“ Wie in der Kommunkation zwischen Menschen ist jeder nur bereit, mit dem zu helfen, was ihn gerade beschäftigt. Und das geschieht im seltensten Fall in gegenseitiger Achtung. Erst wenn ich diese Unzulänglichkeit meines Gegenübers akzeptiere, kann ich zumindest das Gefühl eines Arrangements als Basis für Konstruktivität nutzen.
Ist es nicht grundsätzlich gefährlich, wenn ein Publikum bei der ersten LP bereit ist, sich für schwer zugängliche Texte zu begeistern, aber schon bei der nächsten Platte auf des Rätsels Lösung besteht?
Die Priorität liegt für mich in meiner persönlichen Entwicklung und nicht darin, auf andere hinzuarbeiten. Es ist mir auch egal, ob sich heute jemand nicht mehr für unsere Musik interessiert, der es vorher mal getan hat. Aber ich kann Gebrauchsanweisungen schaffen.
Dein Label-Chef Alfred Hilsberg von „Scratch 'n' Sniff“ befürchtet, daß du dich nun zu weit in die Rolle des introvertierten Wüterichs stürzen könntest.
Ja, da liege ich wohl offen da, das ist genau mein Problem.
Hast du denn das Gefühl, vom Publikum schwerer verstanden zu werden, weil du in deiner Musik Schönheit vorlegst?
Ja, man kann dabei leicht in ein ästhetisches Ghetto geraten, obwohl die Entscheidung für Schönheit nichts als ein Formkriterium ist.
Haben sich deshalb viele die Flowerpornoes als Pop-Romantiker vorgestellt?
Für einige lag es wohl daran, daß ich mich in der Euphorie unserer Anfangstage in abstrakter Reflexion über die Band weit weniger unter Kontrolle hatte, als nötig gewesen wäre. Diese Euphorie hat sich ja dann auch in meinem Leben breit gemacht und auf Bereiche übergegriffen, die ich zuvor eindeutiger trennen konnte.
Das heißt Geldverdienen, Beziehungen zu Freund und Freundin?
Solche Sachen auch, ja. Und da sich vor allem keine wirtschaftliche Änderung einstellte, entschloß ich mich statt dessen jedesmal, künstlerisch noch weiter zu expandieren und endlich alle die Sachen, die ich im Kopf höre, auch draußen zu hören.
Auftritte: 29.4. Hamburg, 30.4. Hohenlokstedt, 2.5. Hannover, 3.5. Karlsruhe, 4.5. Berlin, 9.5. Kiel, 21.5. Düsseldorf
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