Der Verdauungsskandal von Shiba

■ Das deutsche Tischtennisteam besiegt China bei der WM per gefürchteter Magen-Darm-Taktik

Shiba/Berlin (dpa/taz) — Besonders tauglich ist es sicherlich nicht, das neu ausgetüftelte Spielsystem der Tischtennis-Weltmeisterschaft. Aber besonders lustig, bedarf es doch ganz anderen taktischen Fähigkeiten als der des heftigen Schmetterns um Punktgewinn: Verlieren muß man können, so die asiatisch angehauchte Weisheit im japanischen Shiba. Und genau darum wetteiferten skurilerweise die Teams aus China und Deutschland.

Die Crux: Der Gruppensieger nämlich mußte anschließend gegen die gefürchtet starken Schweden oder Koreaner antreten. Um dies zu verhindern, schickten die schlauen Asiaten schlitzohrigerweise ihre zweite Garnitur an die Platte mit dem deringenden Auftrag, um jeden Preis zu verlieren. Ein Schachzug, der den Deutschen allerdings nicht entging: Sie erschienen ihrerseits ohne Weltmeister Jörg Roßkopf. Doch auch Peter Franz und Doppelweltmeister Steffen Fetzner konnten noch so linkisch und tapsig den Ball hin und herschieben, die Unfähigkeit der zehnmaligen Mannschaftsweltmeister aus China, die ihre Absicht kaum verbargen, war nicht zu unterbieten. Glatt gewann das deutsche Team beide Einzel und zitterte schon dem Gruppensieg entgegen, als den jugoslawischen Teamchef Zlatko Cordas endlich ein gar teuflischer Gedanke durchfuhr. Krank, alle krank, diagnostizierte der weltbeste Coach spontan von der Bank weg und schleppte seine Spieler in die Kabine, wo sich der Eindruck der kollektiven Magenverstimmung durch gutes Zureden noch erheblich verstärkte. Das DTTB-Team gab auf, China hatte gewonnen, sah sich gemeinerweise übertölpelt und legte sogleich Protest ein. Die Deutschen hätten gewonnen, fanden die Asiaten. Die ganze Nacht hindurch wurde aufs heftigste gestritten, bis das Schiedsgericht urteilte: Die Chinesen sind verdient Gruppensieger. Außerdem haben sie mit dem Unfug angefangen, findet die deutsche Cheftrainerin Eva Jeler. „Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen. Dieses Spielchen machen wir nicht mit.“

Dennoch: Der internationalen Jury ist nicht entgangen, daß der deutsche Magen-Darm-Trakt recht taktisch reagierte. Zur Strafe muß Coach Cordas den Rest des Turniers wegen Unsportlichkeit auf der Tribüne absitzen und darf seine wieder genesene Mannschaft nicht weiterberaten. „Ich kann meine Anweisungen ebenso von den Zuschauerrängen aus geben“, wigelt der gewiefte Taktiker ab und gab sogleich eine weitere Kostprobe seiner Finesse: „Der Fehler liegt im Spielsystem. Es ist dumm, Gruppenerster zu werden.“

Doch während der aktive Teil der Tischtennisdelegation ob des genialen Coups feixte und spaßte, war dem deutschen Verbandspräsidenten Hans Wilhelm Gäb der Skandal eher peinlich: „Der Verlierer ist der Sport“, verschlüsselte er seinen Unmut über die ungewohnte Taktik und entsann sich mit Grauen an den legendären Sitzstreik des Exweltmeisters Jiang Jualiang bei der WM 1989.

Eva Jeler hingegen zeigte sich hochgradig begeistert von den neuen Möglichkeiten: „Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen. Das wird den Chinesen eine Lehre sein“, teufelte die temperamentvolle Frau sich siegesgewiß und stellte sich dicht hinter den Teamchef. Auch Jörg Roßkof gab sich zufrieden: „Es war die einzige Möglichkeit, eine Manipulation zu unseren Lasten zu stoppen.“

Ein Schachzug, der geglückt ist. Die deutsche Burschen trafen Achtelfinale auf Italien, gewannen und stehen nun im Viertelfinale Jugoslawien gegenüber. Im Endspiel der Damen treffen sich China und Korea — ganz profan geht's ohne jede Finesse, bar jeder Taktik nur ganz platt um eins: Gewinnen. miß