: Sie geht dahin, die älteste Buchmesse der Welt
In Leipzig ging eine alte Tradition zu Ende/ Die Buchmesse war schlecht besucht, Geschäfte wurden kaum gemacht/ Gorbatschow ist als Hochglanz-Titelheld nicht mehr präsent/ Dafür boomen Honecker, Mielke, Wolf und Oelschlegel ■ Aus Leipzig Henning Pawel
Abschied lag in der Messeluft. Von einem weiteren Stück DDR. Besonders aber von einem Gesicht. Magisch jener Kreis, der sich in Leipzig schließt. Ohne ihn, dem die Welt noch vor Jahresfrist zujubelte, gäbe es sie noch, die DDR, damit auch weiterhin die Leipziger Buchmesse. Nachdem die DDR unterging, geht nun wohl auch Gorbatschow und sicherlich die älteste Büchermesse der Welt dahin. Noch im vergangenen Jahr zierte das Konterfei des sowjetischen Präsidenten die Titelbilder unzähliger Werke in zahllosen Verlagen. In diesem Jahr an Hunderten von Ständen, auf Abertausenden Titeln kaum ein einziges Mal das willensstarke und kluge Gesicht. Selbst die in Leipzig präsenten sowjetischen Verlage hielten es nicht mehr für wichtig (oder nicht für richtig?), den Mann ins Programm aufzunehmen, dem die Welt soviel verdankt. Eigenartig auch, es fiel niemandem auf, daß er fehlt. Vermißt ihn wirklich keiner? Ist die ganze Hoffnung jener Jahre, die mit seinem Namen verbunden war, dahin? Wohlfeil — das Verhalten von Journalisten, Publizisten und Verlegern, die Gorbatschow gestern verklärten und heute schon vergessen haben. Sein Gesicht verschwindet. Von den Büchern, dann aus dem Bewußtsein. So ist es wohl geplant.
Der andere dagegen, „der Radikalreformer“, im Aufwind. Sein Konterfei habe ich gesehen auf dieser Büchermesse. Der Schönschwätzer aus jener unendlichen Reihe von Demagogen und Populisten, die seit der Antike auch mit Büchern immer zur Stelle sind, wenn es gilt, auf ein edles Wild die Hatz zu eröffnen, um sich dann am Kadaver eigensüchtig und gegen die Interessen der Völker zu mästen.
Andere Gesichter in Fülle bei den ausstellenden Verlagen. Das des abgeschafften Honeckers immer wieder. Endlich bringt auch er nun etwas ein. Jedenfalls seinen Autoren und Verlegern. Sein Sturz, ein Bestseller, die Vita eines mysteriösen Honecker-Attentäters, soll keuchend zu einem Bestseller werden. Der einstige Tatort des furchtbaren (für mich: albernen) Saarländers: das Politbüro. Der Autor ein früherer Domestik. Bücher, die so langweilig sind, wie es der Titelheld immer war. Die Schweinsäuglein von Väterchen Mielke auf so manchem Schutzumschlag. Markus Wolf — Die Troika galoppiert noch immer. Frau Oelschlegel mit eigenem Werk natürlich auch zur Stelle. Denn keine Zeit darf es in diesem Lande geben, in der sie nicht zu Worte kommt.
Leipzig-weimarsche Buchadressen
Aber auch so viele Gesichter, die mich trotz der Messeendzeit freudig stimmen. Titel, Literaten und Verlagsleute. Keine Spur von Resignation beim Berliner Kinderbuchverlag, da ist schon kräftig Aufwind zu spüren. Die Crew — tatkräftige, unverzagte Frauen und ein, nun endlich einmal sachverständiger, vor Tatendrang schier berstender Geschäftsführer. Sie werden es schaffen. Ein gescheites und witziges Programm fürs Frühjahr und den Herbst steht dafür. Gustav Kiepenheuer, Leipzig. Auch hier entschlossene Gesichter und ein überzeugendes Programm. Das Demontagebuch von Wolfgang Schneider: ein großer Renner. Werner Heiducek und Stefan Heym, nur zwei Autoren dieses traditionsreichen Verlages. Das rauschebärtige Gesicht des heimgekehrten neuen Chefs. Er wird ein übriges und sein Bestes tun, damit wir auch in Zukunft nicht verzichten müssen auf diese feine Leipzig-weimarsche Buchadresse. Hoffnungsvoll auch die Gesichter beim Verlag Neues Leben, Berlin. Karl May, noch immer einer der zuverlässigsten Ernährer des Hauses. Die Programmidee scheint aufzugehen: Abenteuer und Triviales die eine Strecke, die andere Gegenwartsliteratur.
Dennoch, trotz augenscheinlichen Aufbruchs in einigen ehemaligen DDR-Verlagshäusern, der Niedergang bei den meisten anderen ist augenfällig. Sicherlich werden traditionsreiche Namen durch Verkauf erhalten bleiben.
Die einstigen Inhalte dieser Häuser aber mit Sicherheit nicht. Das Leipziger Buchspektakel lohnt sich nicht mehr. Auch für das Publikum. Das nämlich blieb weitestgehend aus. Das einzige Motiv für eine Messe aber ist der Lohn, wie georderte Waren, Bücher und gewinnträchtige verlegerische Absprachen. Man will über neue Inhalte nachdenken, von einer Autorenmesse ist die Rede, der Punkt, ein nationales Buchereignis mit Leipzig-Flair, soll bewahrt bleiben. Abschied ist angesagt. Von einer alten, hochalten, hochgerühmten Messe. Die DDR- Leserschaft liebte das Frühjahrsereignis inniglich. War es doch das einzige wesentliche Tor auch zur anderen Bücherwelt. Jetzt, wo alle Tore weit geöffnet sind, erscheint die Messe überflüssig. Abschied von Gesichtern gilt es auch zu nehmen.
Den meisten, ob gedruckt oder leibhaftig, sage ich gerne: „Gott befohlen — auf Nimmerwiedersehen!“ Dem Verlust anderer aber werden wir uns widersetzen. Gerade wir Ostmenschen schulden den meisten der unermüdlichen Verlagsleute und Literaten der einstigen DDR soviel. Sie und ihre guten Bücher haben uns all die Jahre geholfen zu leben.
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