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„Was wir wirklich brauchen ist mehr Toleranz“

Wird Ungarn wieder habsburgisch? Keine Angst: Otto von Habsburg wollte nicht einmal in den Präsidentschaftswahlkampf einsteigen/ Nicht alle Monarchisten wollen ihn, eine Gruppe zumindest bevorzugt nationalbewußt den ungarischen Adel  ■ Aus Budapest Tibor Fényi

Eines Winters verspach Kaiserin Maria Theresia der Familie Grassalkovich eine Überrschung besonderer Art: Auf einer Schlittenfahrt wollte sie die reiche ungarische Aristokratenfamilie besuchen. Doch der Besuch kam erst im nächsten Sommer zustande. Das ließ die ungarischen Snobs nicht ruhen? Berge von Salz wurden auf dem Weg zu ihrem Schloß aufgetürmt, dick genug für eine Schlittenfahrt. Und die Kaiserin hatte ihren Spaß daran.

Zum Besitztum der Grassalkovich gehörte auch ein Schloß in Gödöllö, das vor einigen Wochen wieder einmal von einem hohen Gast besucht wurde. Die Zeiten mögen sich zwar geändert haben, doch wurden die Straßen dem alten Brauch folgend wiederum mit Salz bestreut. Der hohe Gast, der mitsamt seiner Begleitung eingetroffen war, war kein geringerer als Otto von Habsburg; diesmal allerdings diente das Salz nicht einer Schlittentour, sondern lediglich dazu, den Schnee aufzutauen. Die ungarischen Grünen, so hieß es später aus der Parteizentrale, haben sich darob blau geärgert. Und sie wiesen darauf hin, wie schädlich das Salzstreuen ist.

Die meisten Ungarn mögen ihren Habsburger, der drei Jahre alt war, als sein Vater (in Ungarn als König Karl IV. bekannt) 1918 abdanken mußte. Die Sympathie für den heutigen Habsburger speist sich auch daraus, daß Otto fehlerlos ungarisch spricht, wenn auch mit einem etwas eigenartigen Akzent. Er folgt damit der Tradition der Habsburger seit der Revolution von 1848, die danach Wert darauf legten, die Sprache ihrer Untertanen — wenn auch mehr schlecht als recht — zu sprechen. Ungarischen Ohren ist es deshalb durchaus angenehm, den Worten des einstigen Kronprinzen zu lauschen. Er findet auch stets Worte des Lobs und des Ansporns und vergißt nie zu betonen, daß er sich im Europaparlament, wo er als Abgeordneter fungiert, fortwährend für die Durchsetzung ungarischer Interessen engagiert. Viele erinnern sich daran, daß Otto sich seinerzeit ab 1987 gegen den Bau des Gabcikovo-Nagymaros- Staustufensystems einsetzte, das damals große Auseinandersetzungen in Ungarn provozierte. Das Regime wurde erstmals seit 1956 mit offenen Protest konfrontiert.

Ob Otto wirklich ein Naturliebhaber sei? „Ja, freilich“, sagen die Ungarn augenzwinkernd, „sonst hätte er ja von den Fenstern des Königspalastes in Visegrád nix als ein grausliches Betonmonster sehen können.“ Dieser Ausspruch charakterisiert das Verhältnis der Ungarn zu den Habsburgern vielleicht am allerbesten. Den Ungarn macht es Spaß, wenn sie mit den Gedanken spielen, nicht nur die Schweden und die Briten hätten einen „echten“ König, sondern eigentlich auch sie: Einen König, der zwar nie einen Thron bestiegen hat, der sogar behauptet, er denke nicht daran, die Krone des Hl. Stephan je aufzusetzen; einer also, der eigentlich nicht gefährlich ist und dennoch dem Lande etwas Glanz verleiht.

Man kann allerdings nicht wissen, was seine Königliche Hoheit empfand, als die extremste Gruppe der rechts eingestellten „Partei der Kleinen Landwirte“ vor zwei Jahren Unterschriften sammelte, um Otto von Habsburg zum Präsidenten der Republik zu nominieren. Ein Habsburger als Präsident der Republik?! ... Im Fensehen erklärte Otto in aller Öffentlichkeit, er fühle sich zwar ganz besonders geehrt, wünsche jedoch darauf nicht einzugehen. Sofort bestieg er ein Flugzeug und setzte für einige Zeit seinen erlauchten Fuß nicht mehr auf ungarischen Boden. Die Umfragen hatten ihm vielleicht zu große Chancen für den Wahlsieg eingeräumt.

Manche wollen deshalb auf ihn warten. Die etwa zwei- oder vielleicht sogar dreihundert Mitglieder der „Ungarischen Legitimistischen Partei“ sind sicherlich darunter. Sie haben aber Konkurrenz erhalten, denn der ebenfalls legitimistisch orientierte Verband der Heiligen Stephanskrone findet Otto gar nicht gut. Die Mitglieder dieses Verbandes betrachten die Habsburger nämlich als „Fremde“ und wollen einen König aus den Reihen das alteingesessenen ungarischen Adels wählen. Ihr Obmann, der bald 80 Jahre alte Franziskannermönch Ottmár Faddy erklärte, zur Krönung eines ungarischen Königs müsse es im Jahr 2000 kommen. Genau vor tausend Jahren habe nämlich der heilige Ungarnkönig Stephan I. als erster den ungarischen Thron bestiegen. Pater Faddy wendet sich auch heftig gegen die Umleitung staatlichen Eigentums in private Hände. Wie er sagt, müsse man sich bis zur Krönung zurückhalten. Der König selbst sollte danach den heutigen staatlichen Besitz „je nach Verdienst“ verteilen.

Es gibt zwar nur wenige, die Pater Ottmár Auffassung ernst nehmen, doch er erträgt den Spott still und gottergeben. Ähnlich leidvoll ist auch Professor Péter Hanák, ein europaweit bekannter Historiker, der auf die Frage, ob in Ungarn eine Nostalgie nach der österreichisch-ungarischen Monarchie zu beobachten sei, antwortet: „Während der Jahrzehnte des Kommunismus durfte man hierzulande nur schreiben, daß Ungarn eine Kolonie Österreichs war, und ähnliche Dummheiten.“ Das möchte er jetzt ändern. „Wenn heute etwas veröffentlicht wird, was diese Epoche einigermaßen objektiv beschreibt, dann heißt es, wir seien einer Nostalgie auf den Leim gegangen. Wenn ich etwa nachweise, daß — um ein Beispiel aufzuzeigen — sich Budapest in den Jahren zwischen 1867 und der Jahrhundertwende am schnellsten entwickelt hat, dann ist das keine Nostalgie, sondern eine historische Tatsache.“

Tatsächlich ist diese Zeit in den Augen der meisten Ungarn eine der glücklichsten in ihrer Geschichte. Oder, diese Zeit wird nur zu gern zur glücklichsten verklärt. Für manche ist wichtig, daß damals auch das Zusammenleben der unterschiedlichen Nationalitäten klappte. Der Schriftsteller György Konrád, der — zusammen mit Milan Kundera — als erster von einer Auferstehung Mitteleuropas redete, setzt einen anderen Akzent, wenn er an diese Zeit erinnert. „Die Böhmen, die Ungarn, die Österreicher und sogar die Kroaten konnten hier bis zur Jahrhundertwende ruhig miteinander leben. Erst später wurde der nationalistische Haß zu einer vollends akzeptierten Verhaltensweise. Wenn heute jemand darüber spricht, daß die Träger verschiedener Nationalitäten und Religionen zur Zeit der Jahrhundertwende etwa in Wien miteinander zusammenleben konnten, dann bedeutet das meines Erachtens noch lange nicht, daß man sich nach dem Kaiserreich sehnt, sondern eher nach einer echten Toleranz. In Mitteleuropa mangelt es nämlich nicht so sehr an Königen und Kaiserreichen, sondern an Toleranz.“

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