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■ Das Theatertreffen wurde mit Robert Wilsons »Black Rider« aus Hamburg eröffnet

Die Hälfte der ausgewählten Inszenierungen beim am Mittwoch eröffneten, dreiwöchigen 28. Theatertreffen sind Berliner Aufführungen. Wirklich anreisen werden nur sechs von zwölf, nämlich aus Bochum, München, Weimar, Basel und Wien. »Black Rider« von Robert Wilson, das Eröffnungsgastspiel des Festivals, wurde in Zusammenarbeit mit den Wiener Festwochen am Hamburger Thalia-Theater produziert und bereits in Wien und Paris gezeigt.

Robert Wilson wird uns verzeihen. Nach dem The Forest-Desaster hatten wir uns vorgenommen, jedes weitere Kunstwerk des Meisters kühn zu ignorieren. Der Mann macht einfach zu viel, dachten wir, er hat sich ausgezaubert, seine Bilder ersticken an ihrer Schönheit, seine Symbole an sich selbst. Daß er sich von David Byrnes akustischem Sirup die Bilder verkleben ließ, hielten wir für den Beweis seiner grimmigen Entscheidung, nur noch Kunstgewerbe zu produzieren. Dann hörten wir vom Gipfeltreffen zwischen Wilson und Tom Waits und William Burroughs in Hamburg und fanden das dortige Thalia-Theater und seinen Intendanten schön blöd, daß sie auf dieses Name-Dropping hereinfielen und immerzu Partys veranstalteten, bei denen sie dem Hamburger Großkapital mit ihrem Black Rider-Projekt auf die Nerven gingen. Monate später, als wir das Unding längst vergessen hatten, entdeckten wir plötzlich den glücksstrahlenden Hamburger Intendanten in einer Talk-Show, förmlich aufgelöst vor Freude über den Riesenerfolg, den sein Haus sich eingeheimst hatte und voll des Lobes für den liebenswerten Tom Waits, der sich mit seinem Freund Bob so unwahrscheinlich gut verstanden habe. Und wir mußten uns wieder ärgern, daß der Kulturbetrieb immer noch läuft wie geschmiert.

Aber jetzt kommt's. Wir bitten alle Beteiligten förmlich um Entschuldigung für diese bösen Gedanken. Der Black Rider, mit dem das diesjährige Berliner Theatertreffen am Mittwoch im Schiller-Theater eröffnet wurde, ist schlicht eine ganz umwerfende Show. Nichts paßt zum anderen und alles scheint aufs herrlichste gelungen.

Die Musik von Tom Waits ist viel zu schnell und viel zu heftig für die traumwandelnde Bildgeschichte. Die Bilder sind viel zu rätselhaft für die entwaffnend banalen Verse, die der greise Burroughs und der Dramaturg Wolfgang Wiens sich ausgedacht haben. Hätte man es für möglich gehalten, daß Wilsons magische Räume sich vertragen mit solchen von Försters Hand gereimten Lebensregeln wie »Kommt was in den Magen rein / folgt das Herz von ganz allein« oder »wer so gut mit der Flinte kann / trifft auch ins Ziel als Ehemann«? Das Seltsame ist, sie vertragen sich ganz ausgezeichnet.

The Black Rider erzählt das deutsche Schauermärchen vom »Freischütz« frei nach Friedrich Launs und Johann August Apels Fassung aus dem Jahre 1812. Die Geschichte ist grausig, sie wird uns von Wilson nicht vorenthalten. Wilhelm, der Schreiber, liebt das Försterkind Käthchen, und Käthchen liebt ihn. Aber Förster Bertram möchte einen Jäger zum Schwiegersohn. Der Bursche Robert täte ihm gut passen. Robert ist ein Waidmann und Dummbeutel. Der Teufel erkennt den Ernst der Lage. Er bietet Wilhelm seine Hilfe in Form magischer Freikugeln, die ihr Ziel niemals verfehlen. Der arme Wilhelm schlägt ein und läuft geradewegs in die Falle. Die letzte Kugel trifft, wohin der Teufel will. Sie bohrt sich Käthchen mitten ins Herz. Dem Schreiber Wilhelm bleibt nur der Wahnsinn.

Soviel zum Stoff. Er ist für die Künstler der kleinste gemeinsame Nenner. Die Feuerwerke, die sie darauf entzünden, funkeln in den verschiedensten Farben. Wilson glaubt an das Magische im doppelten Sinne des Wortes. Die Blackbox, der die Schauspieler am Anfang entsteigen, ist eine Trickkiste, aber das farbige Licht, das die Szene erleuchtet, scheint nicht von dieser (Theater-)Welt. Waits glaubt an die alten Qualitäten von Entertainment. Er hat nicht Wilsons Geduld. Wenn der Vorhang im Bühnenhimmel verschwindet, ist es Zeit für den ersten Song. Und der hat es in sich. Nach den ersten zehn Takten glaubt man ihn seit Jahren zu kennen und zu lieben. Man würde ihn pfeifend begleiten und den Refrain mitschmettern, wenn das erlaubt wäre. William Burroughs, der einsame Alte in diesem Trio, glaubt vermutlich wirklich, eine Parabel über Drogenmißbrauch geschrieben zu haben. Man möchte es kaum glauben, aber es dürstet Wilhelm »nach der letzten nächsten Kugel wie dem Junkie nach dem nächsten Stoff« und Förster Bertram gibt mit drohendem Bariton bekannt, daß »Marihuana zu Heroin führt«.

Die Schauspieler glauben an Wilson und Waits, vor Burroughs verbeugen sie sich mit leisem Gelächter. Sie spielen wie die Teufel. Sie beweisen, daß Wilsons Manierismus, Waits Sentimentalität und Burroughs Greisenmoral eine hochkomische Mischung ergeben können. Stefan Kurt und Annette Paulmann sind vielleicht das witzigste Paar, das je im Scheinwerferlicht eines Musicals stand. Dieser Wilhelm kennt seinen Buster Keaton genau und er läßt überhaupt keinen Zweifel, daß einem Komiker niemals der Teufel und auch kein hartes Försterwort zum Verhängnis werden können. Dafür reicht sein Käthchen ganz allein. Wenn er seine Braut sieht, gerät Wilhelm schlimm ins Straucheln. Wahrscheinlich wäre er ihr am liebsten nie begegnet. Aber Annette Paulmanns Käthchen, die Übermutter und das Trotzkind, läßt den Schreiber nicht entkommen. Sie will Wilhelm. Käthchen träumt vom Wedding-Day, hütet die Berge von totem Wild, die Wilhelm apportiert, und manchmal wird sie von einer bösen Ahnung heimgesucht. Dann setzt Wilson sich gegen das Tempo der anderen durch und läßt Annette Paulmann unendlich langsam über die Bühne wandeln oder spitze Schreckensschreie ausstoßen, die nichts Menschliches mehr haben. Förster Bertram (Gerd Kunath) ist ein Kinderschreck wie aus dem Bilderbuch. Die Haare stehen ihm zu Berge und der steife Filzmantel panzert sein liebendes Vaterherz. Diese drei sind des Teufels liebstes Spielzeug und Dominique Horwitz ist Wilsons Stellvertreter auf der Bühne. Er strahlt vor Bosheit, aber das Böse ist nur »for Show«. Er ist vollkommen schwerelos und von vollendeter Eleganz. Dieser Teufel hat auch uns in seiner Hand. Wir weinen Käthchen keine Träne nach, aber wenn Horwitz zum Mikrophon greift und von der Rose in seinem Garten singt, die jedes Jahr als erste erblüht und als letzte verwelkt, dann trifft er uns wieder eben dort, wo wir dem gemeinsten Kitsch schlicht machtlos ausgeliefert sind.

The last Rose of Summer ist der zwölfte Song in einem Musical, das zwölf Schauspieler in zwölf Bildern von zwölf magischen Kugeln erzählen läßt. Die magische Zahl wirkt ein Theaterwunder. Vielleicht hat Burroughs doch nicht so unrecht. Vielleicht handelt der Black Rider doch von der Sucht. Nach drei Stunden wünscht man immer noch, es würde ewig weitergehen. Doja Hacker

Dritte und letzte Vorstellung heute um 19 Uhr im Schiller-Theater.

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