: Ein Mann will lieben lernen lassen
Am Berliner Psychotherapeuten und Erfolgsautor Wilfried Wieck scheiden sich die — männlichen — Geister ■ Aus Bonn Bernd Müllender
Der deutsche Mann: Macher, Macht-Haber, mehrheitlich Macho, Manager anderer und seiner selbst. Souverän ist er, erfolgreich, cool, unangreifbar, Konkurrent und Einzelkämpfer. Wie anders der Geschlechtsgenosse, der da auf dem Podium sitzt. Er will als Mann den anderen Mann — und nichts anderes ist sein Thema. Sanft spricht er, bewußt betroffen, wehleidig bisweilen und manchmal wirr wie seine ergrauten Wuschelhaare. Wilfried Wieck heißt er, hat Bestseller geschrieben darüber, wie Männer lieben lassen und lieben lernen. Er will den Mann konfliktbereit, mitteilsam, zart und stark, kräftig und sensibel, bewußt, offen, endlich leidens- und lernwillig — auf daß er nicht mehr „diese merkwürdige Automatenexistenz in unserer Kultur“ führe.
Am Berliner Psychotherapeuten Wieck scheiden sich die Geister: Für die einen ist er Heilsbringer für das Seelenleben und Männergruppenguru. Andere halten ihn für den inoffiziellen deutschen Baghwan-Nachfahren und schmähen ihn als „Zweiter-Bildungsweg-Seelendoktor und Tarnkappenbomber des modernen Feminismus“ — wie die sonst so liberal-bedächtige 'Süddeutsche‘ sich kürzlich ausdrückte.
Im Godesberger „Montag-Club für politische und gesellschaftliche Kontakte“ traf der 52jährige bei einer Lesung auf eine Hundertschaft ZuhörerInnen von unerwarteter Zusammensetzung: mehrheitlich (teils weit) über 40, gutbürgerlich aufwärts und ganz überwiegend weiblich. Das Elend der Männer, sieh an, ist Frauenthema, was auch die sechsstellige Auflage seiner Bücher bestätigt: Meist werden die Wieck-Werke von Frauen gekauft — höchstens als Geschenk wandern sie in die Bücherschränke auseinandersetzungsfauler Männer, wo sie dann oft ungelesen verstauben. Diese Muffel erfahren nicht, daß der Mann bisweilen unter „vorzeitigem Ideenerguß“ leidet, zuviel theoretisches Denken ohnehin zu „Gesprächsverschmutzung“ führe und über allem der Satz steht: „Menschen leiden unter Männern“.
Wieck selbst ist ganz anders. Er spricht bisweilen konfus, fahrig, haspelnd, unkoordiniert, manchmal zusammenhangslos. Er ist ein schlechter Redner, genauso wie seine Bestseller keineswegs literarische Glanzleistungen sind. Manches schreckt ab, etwa wenn er sagt, er lebe „in Gefährtenschaft mit meiner Frau“. Feministinnen dient er sich nicht als direkter Bundesgenosse an: „Wir Männer müssen die Frauen in Ruhe lassen“, ist seine Devise.
Wieck fordert das „Schulfach Liebe“, will die Männer „Angstarbeit“ leisten sehen und „Friedensarbeit in den Familien“. Zudem sollen „für jeden Lehrer mindestens acht bis zehn Jahre Charakterlehre“ Pflichtfach sein, damit die Buben nicht mehr zu solchen Männer-Monstern von heute erzogen werden. Er erzählt von seinen Tränen, wenn Männer in seiner Männergruppenarbeit Klagen führen über sich. Und seinen Vortrag schließt er mit dem Hinweis, jetzt sei ihm auch wirklich zum Weinen zumute, weil eine Zuhörerin gerade schluchzend den Raum verläßt.
O Mann, O Mann: Welche Gefühlsduselei und Betroffenheitspoesie, denkt mann da automatisch. Aber dennoch oder gerade deshalb trifft Wiecks starke Schwäche. Seine Betroffenheit ist penetrant, aber echt — und sie fasziniert, weil jede, besonders jeder, aus dem eigenen Alltag spürt oder weiß, daß Wiecks Beobachtungen über „die heutige Krankheit Mannsein“ so viel Wahres haben.
Es scheint symptomatisch für den Seelenzustand unserer (Männer-)Gesellschaft, daß ein schlichter Redner wie Wieck mit meist einfachen Analysen so erfolgreich ist. Schon kleinste Anstöße legen das Elend offen. Gerade Wiecks Einfachheit schlägt das Bonner Publikum in seinen Bann, verbreitert die Betroffenheit. Die anschließende Fragestunde wurde dann auch beinah zur großen Therapierunde: Fast alle hatten vom eigenen Elend zu berichten. Viele Frauen erzählten von ähnlich grauenvollen, entwürdigenden Erlebnissen mit Männern, wie sie Wieck zuvor am Fall einer in der eigenen Familie mehrfach mißbrauchten Frau aus Aachen dargestellt hatte. Sie muß sich zu aller seelischen Last auch noch gegen die gemeinen Verleumdungen ihres Bruders, eines ausgekochten Strafrechtsjuristen, wehren.
Wieck betont immer wieder seinen gesellschaftlichen Anspruch: „Psychotherapeut ist ohne Zweifel ein politischer Beruf.“ Nur der normale Mann allüberall im Patriarchat mit seiner Macht, seinen Privilegien, seiner Aggression sei so leicht bereit, Kriege zu führen. „Aus seiner Schwächlichkeit im Zusammenleben wird der Mann in Kompensation gewalttätig.“ Diese These ist für Wieck allgemeingültig: sie gelte für Rekruten ebenso wie für Waffenexporteure, für scheinheilige Politiker oder „Leute wie Bush oder Saddam“. Bei Intellektuellen wie dem selbsternannten neuen Kriegsfreund Wolf Biermann stellt er „deutliche Psychosen“ fest. Wieck trennt nicht, wie viele andere Spezialisten, in Seelenzergliederung zwischen privat und gesellschaftlich. „Der subjektive Faktor, wie Marx mal sagte, muß in die politische Arbeit eingebracht werden. Liebesarbeit ist die große Lücke in der politischen Diskussion.“ Und: „Schlaffis, Drückeberger und Feiglinge sind nicht die Kriegsunwilligen, sondern diejenigen, die die Arbeit an der eigenen Person verweigern.“
Es wird noch Zeit brauchen, bis Männer das Lieben nicht mehr lernen lassen und „die Alternative zu Macho und Softie“ gefunden ist. Wieck weiß das. Er schätzt, daß es noch „einige hundert Jahre“ dauert, bis „gewisse restbrüderliche Werte und Resthumanität im Mann“ wieder sichtbar freigelegt seien. Viel zu tun für viele Wiecks und viele Männer. Wiecks nächstes Etappenziel: 1992 ein Buch über seine Männergruppen.
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