: Bruchstücke von Biographien
Hanna Kralls „Legoland“ ■ Von Michaela Ott
Hanna Krall, polnische Schriftstellerin oder besser Verfasserin von Reportagen, oder noch besser Sammlerin der Reste jüdischer Geschichte in Polen, wurde hierzulande durch ihr bei Suhrkamp verlegtes Büchlein Schneller als der liebe Gott (1980) bekannt: Es handelt sich um die literarische Bearbeitung eines langen Gesprächs mit Marek Edelmann, dem Anführer des Aufstands im Warschauer Ghetto, einem der wenigen Überlebenden, der sich zum ersten Mal für ein Interview zur Verfügung stellte. Da er den Heldennimbus ablehnt, hat er lange jede Aussage zu seiner damaligen Rolle als Mitglied des Stabes der Aufständischen verweigert; auffallend in seinen Äußerungen ist denn auch sein Versuch der Entmystifizierung des Aufstands: Es sei schon die Frage, ob man angesichts dieser 220 zum Widerstand entschlossenen Personen überhaupt von Aufstand sprechen könne, im übrigen sei es ihnen dabei nicht um Heldenmut oder Moral gegangen, nur um eine würdigere Form des Todes hätten sie gekämpft. Irgendwie sei es ihnen besser vorgekommen, mit dem Gewehr in der Hand zu sterben als ohne... Allerdings halte er nichts von symbolischen Toden, nichts von der Selbstmordaktion einiger Ghettojuden, die nach dem Krieg viel Anklang fand. Entsprechend der Legende von Masada, nach der die von den Römern belagerten Juden im Jahre 73 n. Chr. angesichts des römischen Sturms auf ihre Festung kollektiv Selbstmord begingen, hätten es viele Juden nach dem Krieg lieber gesehen, er hätte sich ebenfalls beizeiten die Kugel gesetzt... Noch heute gilt Masada, wie Hanna Krall in ihrem folgenden Buch berichtet, als Symbol der Ehre und Männlichkeit, noch heute legen Soldaten in ihren Mauern den Treueeid ab.
Marek Edelmann taucht auch in Hanna Kralls Legoland wieder auf. Er sitzt einem Ex-Mitglied der RAF, Stefan W., gegenüber, für den Edelmann, wie er sagt, „eine große Autorität“ darstellt. Ihn habe besonders Edelmanns Satz über das Recht des Menschen auf Schwäche fasziniert. Das erstaunt Edelmann, ist für ihn doch „die Nichtachtung des menschlichen Lebens durch die Terroristen ein postumer Sieg der Nazis“. Stefan W. darauf: „Schade, daß ich davon nicht früher wußte.“
Hanna Krall verfolgt solchermaßen die Spätwirkungen des Holocaust, wo immer sie sie antrifft: in Lebensläufen, in vormals jüdischen Ansiedlungen, in den ehemaligen Konzentrationslagern, in Museen und in der Literatur. Legoland, das sind zusammengesetzte Bruchstücke von Biographien, Versuche der Kombination jüdischer Geschichten, die sie in der ganzen Welt von ehemals polnischen Juden gehört hat und nun weitergibt. Dabei kommen auch chassidische Erzählungen vor, berichtet sie von Zaddiks, läßt sie einstmals berühmte Pilgerorte wiedererstehen. Im besonderen aber geht es ihr um die Deformationen, die der Holocaust für die Juden in Polen, ihre erneute Abschiebung 1968 und die bis heute andauernde Verdrängung mit sich gebracht haben. Nicht ohne Sarkasmus schreibt sie in ihrem 1986 im Verlag neue kritik erschienenen Buch Die Untermieterin: „Dieses (Alters-)Heim, in dem es fünfzig jüdische Bewohner gibt, stellt die größte Ansammlung von Juden im heutigen Polen dar.“ Stellvertretend für die Verschwundenen hält sie deren letzte Spuren, die Spuren ihres Verschwindens fest. Ihr Anliegen läßt sie nebenbei in einem von Hannah Arendt zitierten Satz anklingen: „Einer wird immer bleiben, der sich daran erinnert“ — als könne damit der Tod umgewandelt werden in Hoffnungspotential.
Schon in Die Untermieterin hatte sie ein Mädchenpaar erfunden, eine Polin und eine Jüdin, die gleichaltrig und scheinbar ebenbürtig, aufgrund der Geschichte zum Gegensatzpaar schlechthin werden, Kain und Abel, die Helle und die Dunkle, wie sie sie nennt, oder auch Maria und Marta, wie sie später heißen. Beide wohnen in derselben Wohnung, das heißt, Marta wird von Marias Familie versteckt, sie darf sich nicht am Fenster zeigen, muß auf der Straße ein Kopftuch tragen und Steinchen vor sich herkicken, damit sie ihre verräterischen Augen nicht hebt. Während des Warschauer Aufstands wird sie dennoch verhaftet und ins Konzentrationslager Majdanek gebracht: Maria und Marta machen nach dem Krieg einmal pro Jahr dort einen Besuch, nachdem Marta, die inzwischen in einem Waisenhaus lebt, Maria wieder ausfindig gemacht hat.
Hanna Krall schreibt mit Die Untermieterin einen Roman in Hypothesenform, indem sie die Geschichte in Variationen erzählt: Mit dem Bestreben der Leute, sich nach dem Krieg neue Biographien zu erschaffen, sich gute Großväter zuzulegen, die möglichst freiwillig in Auschwitz gewesen sind, spielt sie ein ironisches Spiel. Maria selbst ist auf der Suche nach ihrem verschwundenen Vater, läßt ihn alle möglichen Rollen im Krieg durchlaufen: Ihr Buch ist eine Geschichte im Konjunktiv, also keine Geschichte mehr.
In Legoland halten sich ihre Texte bewußt an der Grenze von Literatur und Reportage auf, wohl aus ihrer Überzeugung heraus, daß seit Auschwitz jeder reale Vorgang von einer Kehrseite der Irrealität heimgesucht wird. Um aller Sentimentalität zuvorzukommen, verwendet Hanna Krall für ihre dokumentarischen Erzählungen, für ihre oft protokollartigen Aufzeichnungen einen spröden, oft wenig explikativen Stil; makabre Kämpfe hat sie deshalb mit einer nach Israel emigrierten polnischen Jüdin zu führen, die ihre KZ-Vergangenheit in einem dicken Wälzer für Hollywood aufbereitet sehen möchte und in Hanna Kralls Text Herz, Tränen und die in die Hunderte gehenden Seitenzahlen vermißt. Hanna Krall versucht sie mit der Antwort zu trösten, daß das Buch über Marek Edelmann noch kürzer geraten sei, und dabei handele es sich immerhin um ein Buch über den Aufstand im Warschauer Ghetto. Aufgrund dieser programmatischen Kürze, nach dem Motto „Je größer die Verzweiflung, um so weniger Sätze werden benötigt“, bleiben dem Leser trotz der Anmerkungen der Übersetzerin oft Details und Pointen ihrer Geschichten verschlossen. Am besten bewährt sich ihr Stil, wenn sie wie inLegoland Lebenswege als verknappte Interviews widergibt, ohne die Redundanzen der wörtlichen Rede, das Biographische in schmale Satzgerüste gebracht: Die nebeneinandergestellten Lebensläufe des nach Kanada Emigrierten, des nach Israel Geflüchteten und des nach Polen Zurückgekehrten werden in diesem seriellen Prinzip als Varianten einer allgemeinen jüdischen Ortslosigkeit lesbar.
Hanna Krall: Legoland , Verlag neue kritik, 220 Seiten, 36DM
ebenfalls lieferbar: Die Untermieterin , Verlag neue kritik, 168 Seiten, 24DM, und Schneller als der liebe Gott , Suhrkamp Verlag, 160 Seiten, 9DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen