: Das große Zeitungssterben
Neuverteilte SED-Zeitungen machen neu gegründeten Blättern Konkurrenz ■ Von Eberhard Löblich
Halle/Magdeburg. Kaum sind die alten SED-Zeitungen unter den großen Westverlagen aufgeteilt, da beginnt in den neuen Ländern das große Zeitungssterben. Firmen wie der Madsack-Verlag in Hannover oder Schauber-DuMont in Köln sehen nämlich gar nicht ein, daß sie jetzt mit ihren Neugründungen in der Ex- DDR ihren auflagenstarken Neuerwerbungen Konkurrenz machen sollen. Madsack machte den Anfang und schloß zum 30. April nicht nur die 'Magedeburger Allgemeine Zeitung‘, sondern stieg auch aus dem gemeinsam mit Alfred Neven-DuMont betriebenen Boulevard-Blatt 'Neue Presse/Expreß‘ aus.
Willkommener Anlaß für Neven- DuMont, den östlichen Ableger seines 'Kölner Expreß‘ gleich ganz dichtzumachen. Völlig überrascht hielten rund 120 RedakteurInnen in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen am Dienstag ihre letzte Ausgabe in den Händen.
Offizielle Begründung für den Madsack-Rückzug: Kartellrechtliche Bedenken. Denn gemeinsam mit Springer hat Madsack den Zuschlag für die 'Leipziger Volkszeitung‘ bekommen. Springer versucht mit 'Bild‘ den Boulevard-Markt in den neuen Ländern an sich zu reißen. Ein weiteres Boulevard-Blatt von Springers Tageszeitungspartner könnte das Kartellamt möglicherweise irritieren, heißt es aus dem Hause Madsack.
In Wahrheit geht es aber wohl darum, den Springer Verlag nicht durch ein Konkurrenzprodukt auf dem Boulevard-Markt zu verärgern. Denn die Auflage von 'Bild‘ wurde jüngst erst von 1,2 Mio. auf die Hälfte reduziert. Der Markt reagiert zunehmend spröde auf das Blatt. Und im übrigen geht es Madsack darum, sich nicht selbst Konkurrenz zu machen. Denn gerade in Leipzig hatte der 'Expreß‘ einen ausgezeichneten Absatz.
Von einem Tag auf den anderen saßen die 'Expreß‘-RedakteurInnen auf der Straße und erfuhren das auch noch aus ihrer eigenen Zeitung. Aber Alfred Neven-DuMont setzte seine MitarbeiterInnen nicht nur wegen des Madsack-Rückzuges vor die Tür. Der Kölner Verleger bekam nämlich beim großen Ausverkauf der alten SED-Zeitungen den Zuschlag für die 'Mitteldeutsche Zeitung‘ — und die hat so ziemlich dasselbe Verbreitungsgebiet wie sein 'Neue Presse/Expreß‘.
Seinen reichen Erfahrungen mit Arbeitsgerichten kann Neven DuMont nun einige hinzufügen. Denn die rund 120 RedakteurInnen wollen sich nicht widerstandslos rausschmeißen lassen, sondern klagen. „Die Kündigungen sind völlig rechtswidrig“, erklärt Renate Gensch, die erst in der vergangenen Woche zur Betriebsrätin in der Magdeburger 'Expreß‘-Redaktion gewählt wurde. Nach dem Gesetz hätte sie nämlich jeder einzelnen Kündigung zustimmen müssen. Aber sie wurde erst gar nicht gefragt. Und offiziell haben die meisten MitarbeiterInnen ihre Kündigung auch noch gar nicht erhalten. Die wurden nämlich von der Zentrale in Halle gesammelt in Klarsichthüllen in die Außenredaktionen geliefert. Ohne Umschläge, für jeden einsehbar. Die MitarbeiterInnen weigerten sich, den ihnen zugedachten Schrieb aus dem Sammelpaket herauszusuchen und die beigefügte Empfangsbestätigung zu unterschreiben.
Bis zum 15. Mai wird der Kölner Verleger kaum nachträglich alle Formalien schaffen, die für rechtswirksame Kündigungen zum Quartalsende notwendig sind. Die Redakteure, die mangels Zeitung nun in den Redaktionen Däumchen drehen, müssen also bis zum 30. September weiterbeschäftigt werden. Das wird ihnen jeder Arbeitsrichter bestätigen. Und die Zustimmung einer vorzeitigen Vertragsauflösung werden sie sich sicher angemessen vergolden lassen.
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