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In Stendal haben kleine Männer große Träume

■ Bayernwerk AG und KKW-GmbH wollen in Stendal ein neues Atomkraftwerk bauen und versprechen Arbeitsplätze sowie saubere Energie/ AKW-Gegner kontern mit Erfahrungen aus den alten Ländern/ Geschichte vom Verlierer und Gewinner

Stendal — Die politische Umwälzung hat den 4.000-Megawatt- Traum von Harald Gatzke platzen lassen: Der Diplomingenieur sollte einst Leiter der vier Atommeiler in Stendal werden. Jetzt werden sie nicht nur nicht weitergebaut, sondern vermutlich abgerissen. Der Chef der KKW-Stendal GmbH ist zu einem der größten Abrißunternehmer zwangsmutiert — der wenigstens retten will, was zu retten ist. Er will ein neues Atomkraftwerk an der Elbe — ein westliches, das sicher sei, erklärt er am vergangenen Samstag auf einer Anhörung in Stendal. »Von unseren derzeit noch 800 Beschäftigten würden 150 qualifizierte Mitarbeiter einen neuen Arbeitsplatz finden«, hofft der Mann mit graumeliertem Haar. Während der Bauzeit des neuen Meilers könnten die noch zu DDR-Zeiten jahrelang ausgebildeten Reaktorfahrer und Ingenieure bei westdeutschen Energieunternehmen »geparkt« werden, sagt Gatzke.

Doch auch der neue Traum vom Arbeitsplatzretter werde zerplatzen, prophezeit Michael Sailer, Mitarbeiter des Darmstadter Ökoinstituts. Kaum einer der 150 Leute werde bei westdeutschen Unternehmen eine qualifizierte Anstellung finden, und wer geparkt sei, werde auf Grund unterbrochener Berufserfahrung fast nie wieder von seinem alten Chef eingestellt, berichtet Sailer von Erfahrungen in den Altbundesländern.

Eberhard Wild, Vorstandsmitglied der Münchner Bayernwerk AG, malt andere Träume. Auf dem Hearing, das Kreistagsabgeordnete über das Pro und Contra der Atomenergie aufklären soll, verspricht der Konzernvertreter Geld und Arbeitsplätze für die Region und eine ökologisch bessere Zukunft dank sauberem Strom.

Doch diese Versprechen werden nicht aufgehen, munkelt der Ingenieur vom Ökoinstitut. Viele Komponenten würden nicht auf der Baustelle gefertigt, im Gegensatz zu der regionalen Wirtschaft in den Altländern müssten sich Betriebe in Sachsen-Anhalt erst qualifizieren. Reinhard Weiß, Bundestagsabgeordneter der SPD, behauptet gar, daß über 110 interessierte Betriebe ihre Ansiedlung in Frage stellen, falls in Stendal ein Atommeiler hingesetzt wird. Wolfgang Zängl, Greenpeace-Vertreter, hält dem Argument des scheinbar sauberen Stroms entgegen, daß Atomkraftwerke nicht wesentlich zur Verringerung des Kohlendioxidausstoßes beitragen, folglich auch nicht den Treibhauseffekt aufhalten würden.

Sebastian Pflugbeil, Berliner Abgeordneter des Neuen Forums, sprach Wild das Recht ab, Atomkraftwerke zu bauen, solange die Gefahr einer Kernschmelze nicht ausgeschlossen werden kann. In der Umgebung von Tschernobyl habe die Sterblichkeit und die Anzahl der Krankheiten um ein Vielfaches zugenommen. Alte Leute würden den Unfall immer wieder mit den Schrecken des Krieges vergleichen. »Die Zeit nach Tschernobyl kommt dabei schlechter weg«, berichtet der Abgordnete, der verschiedene Projekte für Kinder in dem verstrahlten Gebiet unterstützt.

Wenn Wild und Gatzke sich auf der Veranstaltung in den Pro-Atomkraft-Argumenten auch einig waren, gibt es zwischen beiden doch einen wesentlichen Unterschied. Wild kann nur gewinnen: Wenn ein AKW gebaut wird, verdient sein Konzern eine Menge Geld. Gatzke aber kann nur verlieren: Wird nicht gebaut, gibt es für seine Mannschaft keine Arbeit und wird gebaut, nützen den jetzt qualifizierten Ingenieuren die Arbeitsplätze im Jahr 2000 auch nichts mehr. Dirk Wildt

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